Arbeitszeiterfassung

Zwischen Gesetzgebung und Mitarbeitermotivation

Beim Thema Arbeitszeit scheiden sich oft die Geister. Viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer sehen darin ein Kontrollinstrument, das sich gerade vor dem Hintergrund neuer oder aktualisierter Gesetze weiter verschärft. Diese Sicht jedoch greift zu kurz. Zeiterfassung ist vielmehr ein wichtiges Instrument, das auch als Mittel zur Mitarbeitermotivation eingesetzt werden sollte und bestenfalls die betriebliche Produktivität steigern kann.

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 Bild: Andrii/stock.adobe.com
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Das Jahr 2024 ist längst in vollem Gange, aber das angekündigte neue Gesetz zur Regelung der Erfassung der Arbeitszeit deutscher Arbeitnehmer lässt auf sich warten. Denn wurde zwar die grundsätzliche Sachlage festgestellt, nämlich dass Arbeitgeber verpflichtet sind, Arbeitszeiten in einem „objektiven, verlässlichen und zugänglichen System“ (so das Urteil des EuGH vom 14.5.2019 – C-55/18 [„CCOO“]) zu dokumentieren. Anderseits ist es schwierig, dies in allgemeingültige, praxisnahe Vorschriften zu übertragen. Fair und flexibel muss es sein, dabei sowohl moderne als auch traditionelle Arbeitsverhältnisse berücksichtigen, und insgesamt der grundsätzlichen Causa eines ArbZG, dem Schutz der Arbeitnehmer, Rechnung tragen. Hier bleibt viel Spielraum, sich zu verrennen.

Wie viel gesetzliche Ausgestaltung braucht es bei der Aufzeichnungspflicht? Gerade zu diesem kritischen Punkt gibt es immer noch keine Einigung in der Politik. Die Opposition möchte den Anstoß des EuGH und den Beschluss des BAG vom 13.9.2022 (1 ABR 22/21) nutzen, um das ArbZG grundlegend zu modernisieren.

Kritische Stimmen aus der digitalen Wirtschaft

Seit im Frühjahr 2023 der Referentenentwurf des ArbZG von der Bundesregierung veröffentlicht wurde, laufen die Diskussionen heiß – und alle Sichtweisen, von absoluter Befürwortung bis kategorische Ablehnung, sind vertreten. Das ist wenig verwunderlich, denn die jeweiligen Sachlagen könnten gar nicht unterschiedlicher sein. Während zahlreiche Berufsfelder aus dem Handel eine bessere Aufzeichnung von Überstunden befürworten, befürchten die meisten Arbeitnehmer aus dem digitalen Umfeld – gewohnt an Homeoffice und Vertrauensarbeit – eine radikale Rückentwicklung hin zu Kontrolle und festen Arbeitszeiten.

Start-ups müssten Benefits wie maximal flexible Arbeitszeiten („Wenn du einen privaten Termin wahrnehmen musst, hängst du die nicht gearbeitete Zeit einfach hinten dran.“) dann vorsichtiger formulieren oder streichen – oder nicht? Was ist dran am gefürchteten „Stechuhr-Urteil“ des EuGH und welche Befürchtungen stehen (noch) im Raum?

Warum wird kritisiert?

Allen potenziellen Herausforderungen zum Trotz bietet das Gesetz auch eine Vielzahl von Chancen, für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen. Mehr noch: Sollte die praktische Gesetzesumsetzung stimmen, würden die Vorteile bei Weitem überwiegen. Zunächst einmal: ArbZG und ArbSchG dienen dem Schutz der Arbeitnehmer. Die Arbeitszeit ist wertvolle Lebenszeit, die entsprechend entlohnt werden sollte. Überdies sollte die Überwachung der Arbeitszeit im Kern sicherstellen, dass das vertraglich Vereinbarte von beiden Seiten eingehalten und fair behandelt wird.

Um einen kritischen Blick kommen wir jedoch nicht umhin. Der Sprecher des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall z. B. nannte den Gesetzentwurf einen „Gruselkatalog an Bürokratie, Widersprüchlichkeiten und Fortschrittsverweigerung“, welcher die Vertrauensarbeitszeit abschaffen würde. Diesem Einwurf lässt sich nicht gänzlich widersprechen – aber so ist das in einer lebendigen Diskussion um ein, das darf man nicht vergessen, noch immer nicht verabschiedetes Gesetz.

Eben dieses Gesetz, insbesondere der zu § 16 des ArbZG neu verfasste Abs. 2, verleitet zu der Annahme, dass durch die Aufzeichnung von Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit am gleichen Tag und in elektronischer Form ein starrer, gesetzlich verankerter Achtstundentag zum Status quo für alle arbeitenden Bundesbürger werden könnte, der nicht mit der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts vereinbar ist. Der bürokratische Aufwand steht dabei ebenfalls stark in der Kritik, denn die verpflichtende elektronische Form schreibt allen Arbeitgebern die Einführung eines Systems vor, welches dies ermöglicht, obgleich im späteren Verlauf des Gesetzesentwurfs, in Abs. 8, lange Übergangsfristen sowie mögliche Ausnahmen vorgeschlagen werden.

Einer Studie von Arlington Research aus dem Jahr 2023 (Januar) zufolge wird in Deutschland die Arbeitszeit bereits nahezu flächendeckend erfasst. So dokumentieren bereits 89 % der befragten 1.000 Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit; meist „klassisch“ auf Papier, gelegentlich bereits über modernere Methoden wie z. B. eine Smartphone-App. Was häufig fehlt, ist jedoch ein echtes System dahinter, wie es der EuGH nun verlangt. Geht es also nur noch um das „Wie“, wenn das „Ob“ de facto schon größtenteils zum Arbeitsalltag in Deutschland gehört? Der bekannte Teufel liegt im Detail und dann natürlich darin, was die Arbeitgeber hierzulande daraus machen.

Vertrauensarbeitszeit und genaue Zeiterfassung

Bislang heißt Vertrauensarbeitszeit, dass der Arbeitgeber weder genaue Arbeitszeiten vorgibt noch übermäßig kontrolliert, ob Arbeitnehmer die vertraglich vereinbarte Stundenanzahl tatsächlich ableisten. Im Umkehrschluss erhalten Letztere auch mehr Verantwortung, Arbeitsleistung zu erbringen, unabhängig von festen Bürozeiten oder gar einem festen Arbeitsplatz. Bei diesem Arbeitsmodell liegt der Fokus auf den Arbeitsergebnissen und gegenseitiger Verlässlichkeit, auch innerhalb größerer oder internationaler Teams. Ebenso erlaubt es mehr Freiheit bei privaten Unterbrechungen der Arbeitszeit, sei es für Arzttermine oder das Abholen der Kinder von der Schule, und das Nachholen der Arbeitszeit zu einem späteren Zeitpunkt. Ein solches Modell passt jedoch nicht in jedes Arbeitsumfeld.

Eine verpflichtende, minutengenaue Arbeitszeiterfassung würde in jedem Fall die tatsächlich geleistete Arbeitszeit komplett transparent machen, was weitreichende Konsequenzen haben könnte. Nach § 3 ArbZG ist der Achtstundenarbeitstag das „Maß aller Dinge“: Er kann „auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden”.

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Der vorliegende Referentenentwurf sieht diesbzgl. keine Änderungen vor. Hierin liegt einer der Hauptkritikpunkte der Gegner des Entwurfs. Ebenfalls Kritik gibt es daran, dass die Spielräume, die das EuGH-Urteil ebenso wie der BAG-Beschluss offenlassen, gänzlich ungenutzt, ja sogar zunichtegemacht werden. So ist bspw. weder die elektronische Form noch die Dokumentation am gleichen Tag eine Vorgabe „von oben“.

Nun stellt sich also die Frage: Wenn die Erfassung der tatsächlichen Arbeitszeit gesetzlich so starr geregelt werden würde wie vorgeschlagen, wie geht dann ein Arbeitgeber in der Praxis mit einem Top-Performer um, der vielleicht nur 34 statt 40 Stunden aufgezeichnet hat? Und was könnte einem weniger starken Teammitglied bevorstehen, das die gleiche Leistung, nun schwarz auf weiß nachweisbar, nur mit Überstunden erreichen konnte? Spätestens an dieser Stelle sollten wir Chancen und Risiken abwägen – dazu gleich noch mehr. Zunächst noch der Blick auf ein weiteres stark diskutiertes Thema in diesen Tagen.

Moderne Arbeitszeitmodelle

Arbeitszeitmodelle der Zukunft werden flexibler, nicht starrer – das sollte jedem klar sein. Ein modernes ArbZG sollte die notwendigen Gestaltungsfreiräume dafür freihalten, anstatt sich diesen zu versperren. Das aktuelle ArbZG, nicht der Referentenentwurf, stellt hier aktuell noch ein Problem dar, indem es tagesbezogene Höchstarbeitszeiten festlegt. Eine häufig geforderte Änderung ist daher, stattdessen die Wochenarbeitszeit heranzuziehen. Das würde den Weg freimachen, die gängige vertragliche 40-Stunden-Woche einfach auf vier Tage umzulegen, ohne die Sache weiter zu verkomplizieren. Unabhängig von der Arbeitszeiterfassung erscheinen entsprechende Anpassungen sehr sinnvoll, um zukunftsfähige Arbeits- und Geschäftsmodelle einführen und etablieren zu können.

Chancen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Es sprechen insofern mehr Punkte dafür, einem überarbeiteten ArbZG mit freudiger Erwartungshaltung entgegenzusehen, als Ängste zu schüren. Obgleich sich mögliche Auswirkungen erst in der Praxis zeigen werden. Positiv sollten Unternehmen den Möglichkeiten entgegenblicken, aktuelle Arbeitsprozesse hinsichtlich ihrer Effizienz auf den Prüfstand stellen und anschließend klarere Ziele zusammen mit den Mitarbeitern definieren zu können.

Das sollte in jedem Fall dazu führen, dass weniger Mehrarbeit geleistet werden muss respektive, dass diese sichtbarer wird. So kann im Einverständnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine faire Lösung gefunden werden, die zu mehr Zufriedenheit, Anerkennung und einer besseren Work-Life-Balance führt. Nicht zuletzt können durch eine wohlorientierte Nutzung der erhobenen Daten mehr Freiräume, z. B. für professionelle Weiterbildungen, geschaffen werden. Ein weiterer Vorteil: Auch die mentale Gesundheit der Arbeitnehmer kann besser geschützt werden, indem Überarbeitung und Unzufriedenheit frühzeitig erkannt werden und Arbeitgeber entsprechende Schutzmaßnahmen wie etwa Coachings installieren. Aus der Forschung ist zudem bereits bekannt, dass die Gesundheit von Mitarbeitern in einem engen Verhältnis zu deren Produktivität steht.

Abschließend ist es wichtig zu betonen, dass die positive Wirkung der Zeitdokumentation stark von der Unternehmenskultur und der Art und Weise abhängt, wie die erfassten Daten genutzt werden. Ein unterstützendes, auf Vertrauen basierendes Umfeld, das die Informationen zum Wohle der Mitarbeiter nutzt, ist entscheidend, um die genannten Vorteile zu realisieren.

Kerstin Götz

Kerstin Götz
Geschäftsführerin (CEO), TROI GmbH
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· Artikel im Heft ·

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