AU-Bescheinigung: Erschütterung des Beweiswerts

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 Bild: jozefmicic/stock.adobe.com
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Vor dem LAG Berlin-Brandenburg stritten die Parteien um die Rückzahlung gewährter Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der Arbeitnehmer war als Produktionsleiter beschäftigt. Am 26.10.2022 kündigte der Geschäftsführer des Unternehmens mündlich das Arbeitsverhältnis. Am 27.10.2022 meldete sich der Kläger arbeitsunfähig krank und übersandte eine Erstbescheinigung über die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 27.10.2022 bis 10.11.2022. Am 28.10.2022 erklärte das Unternehmen eine formwirksame ordentliche Kündigung zum 30.11.2022. Der Mitarbeiter reichte eine Folgebescheinigung für die Zeit vom 11.11.2022 bis 30.11.2022 ein. Unstreitig war er am 12.11.2022 im Rahmen eines Handballspiels als Spieler aktiv und übte am 19.11.2022 bei einem Handballspiel das Schiedsrichteramt aus. Das Unternehmen klagte auf Rückzahlung der Netto-Vergütung zuzüglich abgeführter Lohnsteuern, sowie auf Abtretung des Erstattungsanspruchs gegen den Sozialversicherungsträger.

Damit hatte das Unternehmen in der zweiten Instanz Erfolg. Der Rückzahlungsanspruch setzt voraus, dass der Arbeitgeber darlegen und beweisen kann, dass eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit trotz der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht vorlag und der Arbeitnehmer die Entgeltfortzahlung demzufolge ohne Rechtsgrund erhalten hat. Legt der Arbeitnehmer ein ärztliches Attest vor, so begründet dieses in der Regel den Beweis für die Tatsache, dass er arbeitsunfähig erkrankt ist. Es ist dann Sache des Arbeitgebers, den Beweiswert der Krankschreibung zu erschüttern. Dabei ist es anerkannt, dass ein Indiz zur Erschütterung des Beweiswerts sein kann, wenn die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung passgenau die nach einer Kündigung noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist abdeckt. Ebenso ist es anerkannt, dass die Krankschreibung über einen längeren Zeitraum als zwei Wochen ein Indiz dafür ist, dass es sich um eine Gefälligkeitsbescheinigung handelt. Im vorliegenden Fall lagen beide Voraussetzungen vor. Die beiden AU-Bescheinigungen deckten passgenau die verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses ab. Die Folgebescheinigung war für einen Zeitraum von 20 Tagen ausgestellt und missachtete somit die Empfehlung der AU-Richtlinie. Außerdem stützen die beobachteten Aktivitäten des Klägers im Zusammenhang mit dem Handballsport die Zweifel an einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit. Es wäre somit Sache des Klägers gewesen vorzutragen, welche tatsächlichen physischen oder psychischen Hintergründe vorgelegen haben, die ihn an der Arbeitsleistung gehindert haben. Dazu hatte der Kläger nichts vorgebracht. Damit galt die Behauptung des Unternehmens, eine Erkrankung, die zur Arbeitsunfähigkeit führte, habe nicht vorgelegen als zugestanden (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 5.7.2024 – 12 Sa 1266/23, rk.).

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AU-Bescheinigung: Erschütterung des Beweiswerts
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