Büroimmobilien – eine sterbende Spezies?

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 Bild: ZieL/stock.adobe.com
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Corona etablierte das Homeoffice, SPD und DGB fordern die Viertagewoche, die Generation Tik-Tok träumt von der Work-Life-Balance und die KI hat auch schon einen festen Arbeitsplatz im immer leereren Büro. Wofür, bitte schön, benötigen wir überhaupt noch Büros? Hinzu kommt, dass das viele Jahre antizipierte Ende des Immobilienbooms jetzt eingetreten ist. Die Zinswende und der Krieg in der Ukraine setzten den Startschuss. Stranded Assets und Fire Sales stehen ins Haus.

Angesichts dieser immer brenzligeren Situation entwickelte ich daraus den griffigen Slogan: „Büros brauchen ein Lagerfeuer“ – sozusagen als ein emotionales Ventil oder Fixpunkt. Denn viele Büronutzer wissen nach dem Run ins Homeoffice gar nicht mehr, wie sie ihre Mitarbeiter aus dem bequemen Büro zu Hause zurück an den teuren ge- oder vermieteten Büroschreibtisch locken können? Richtig, Menschen sind (und bleiben) soziale Wesen, und so wird sich immer die Frage nach deren sozial-humanitären Bedürfnissen richten.

Aber sind dies die alleinig richtigen Fragen und Antworten hinsichtlich der Zukunft von Büroimmobilien und deren Nutzung? Wo geht die Reise hin? Der Ruf nach einem Kompass, einer Karte wird lauter. Hinsichtlich der menschlichen Bedürfnisse und Anforderungen fällt eine Kursbestimmung – siehe das Lagerfeuersyndrom – noch relativ leicht. Aber wie sieht es bei anderen Trends und vor allem technisch-organisatorischen Entwicklungen aus?

An dieser Stelle hilft es, uns auf den eigentlichen Wert und die Lehre von der Arbeit zu besinnen. Was ist sie heute, stellt sie noch dar, wo und wie wird sie ausgeführt? Dabei jedoch nur an unser tagtägliches Aufgabenpensum zu denken, wäre verkürzt. Wir müssen deutlich weiter über den gegenwärtigen Status quo hinausdenken und handeln.

Ohne Zweifel jegliche Formen künstlicher Intelligenzen werden in der Zukunft eine immer größere Rolle spielen. Hier liegt die wahre digitale Potenz, die KI ist der eigentliche Quantensprung. Sie wird zum Gamechanger der geistigen Arbeit und damit des Büros. Da der Anteil von IT-gestützten Dienstleistungs-, Wissens- und Kreativberufen weltweit weiter zunimmt, mutiert das Büro gleichzeitig zum Schlachtfeld der Spätmoderne. Die Systeme, die dort zum Einsatz kommen, sind eine rapide zunehmende Zahl kommunikativ-kalkulatorischer Instrumente und Programme. Und die geballte Dynamik, die sich darin verbirgt, überträgt sich quasi automatisch auf die Orte, an denen diese zum Einsatz kommen, sei es nun das Firmenbüro oder im Homeoffice. Dabei entfremdet sich der reale Raum immer weiter vom virtuellen. Ein digitales Metaversum entsteht, getrennt bzw. abgeschlagen von unserem physischen Dasein.

Im sanften Abendrot einer Brave New World kollektiv einer negativen Utopie entgegenzudämmern – sprich zu verblöden –, bedeutet nichts anderes, als dass nach unserem Körper nun auch noch unser Geist buchstäblich arbeitslos wird. Um dieser Form der digitalen Demenz, bzw. Irrelevanz, zu begegnen, sollten wir die Reste unserer Arbeitswelten nicht als stille Rückzugsorte digitaler Vereinzelung, sondern als kollektivensowie aktiven Parcours wahrnehmen. Nehmen wir daher das Büro mit Lagerfeuercharakter als ein wertvolles und bereicherndes Element wahr, denn es belebt unsere Sinne, Gefühle und Eigenschaften, die uns Menschen von anderen Lebewesen und Maschinen unterscheiden. Diese soziale Wesensart kann keine KI erzeugen. Analog zum mentalen und arbeitstechnischen Parcours, steht die in Frankreich Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte Bewegungsform des Parkour: mit dem eigenen Körper (und Geist) möglichst effizient, freudig und entspannt von Punkt A zu Punkt B.

Elemente dieser Bewegungsmentalität müssten in den Residuen unserer Arbeitsplätze etabliert werden. Sonst liefern wir uns schutzlos einer Barbarei der Apparate aus und Büros – zumindest was von ihnen noch übrigbleibt – mutieren zu digitalen Folterkammern. Der Parkourläufer (franz.: le traceur – „der, der eine Linie zieht“) wäre dann der nächste evolutionäre Schritt der „Büromenschen“, die heute vielfach schon unter der Last ihrer Anforderungen kollabieren oder gar verkümmern. Der Büroparkour ist die räumlich-arbeitstechnische Antwort im Novozän, dem kommenden Zeitalter der Hyperintelligenz.

Sven Wingerter

Gründer, Managing Partner, Eurocres Consulting GmbH
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Büroimmobilien – eine sterbende Spezies?
Seite 62 bis 63
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