Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände an sich und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht.
In der wahrheitswidrig erfolgten Behauptung durch eine in einem Krankenhaus beschäftigte Arbeitnehmerin gegenüber ihrem Arbeitgeber, aufgrund einer ärztlichen Untersuchung (Anamnese) sei festgestellt worden, dass sie vorläufig nicht gegen das Coronavirus geimpft werden könne, lag eine erhebliche Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB vor, die an sich als wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist (BAG, Urt. v. 14.12.2023 – 2AZR55/23, ausführlich in dieser Ausgabe AuA 3/24, S.56). Das gilt unbeachtet der Frage, ob der Arbeitnehmer laienhaft davon ausging, er sei tatsächlich vorläufig impfunfähig. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer sich wegen der Vorlage eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses strafbar gemacht hat. Maßgebend ist vielmehr der mit der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch.
Die von der Arbeitnehmerin vorgelegte Bescheinigung erweckte für einen unbefangenen Dritten den Eindruck, es habe ein individueller Kontakt mit einer Ärztin unter Einschluss einer Anamnese stattgefunden. Es handele sich gerade nicht um die bloße Wiedergabe einer allgemeinen medizinischen Auffassung. Vielmehr wurde eine Aussage zur Impfunfähigkeit der Arbeitnehmerin für einen bestimmten Zeitraum getroffen, die es dieser ggf. ermöglichen soll, trotz Fehlens eines Nachweises gem. § 20a Abs. 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) a.F. für einen erheblichen Zeitraum über den 15.3.2022 hinaus, nämlich zumindest bis zum 4.7.2022, sanktionslos für den Arbeitgeber tätig zu sein.
Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es nicht, weil es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelte, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit auch – für die Arbeitnehmerin erkennbar – ausgeschlossen war. Der Arbeitnehmerin ist anzulasten, dass sie bewusst wahrheitswidrig vorgegeben hat, eine Impfunfähigkeit sei von einer Ärztin aufgrund einer Untersuchung (Anamnese) festgestellt worden.
Bezogen auf diesen Kündigungsvorwurf ist es zum einen irrelevant, ob die Arbeitnehmerin nunmehr bereit wäre, sich nachträglich ärztlich auf eine Impfunfähigkeit untersuchen zu lassen.
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Zum anderen spielt die zu ihren Gunsten unterstellte Sorge der Arbeitnehmerin vor einer Schädigung ihrer Gesundheit durch die Impfung keine erhebliche Rolle. Sie hätte ihre Sorgen offenlegen und sich anschließend – weiter – um eine allergologische Begutachtung bemühen können.
Dessen ungeachtet ging es bei der Täuschung nicht darum, eine Gefahr für die eigene Gesundheit abzuwenden, sondern die Arbeitnehmerin wollte lediglich arbeitsrechtliche Konsequenzen, insbesondere ihre Nichtbeschäftigung und damit den Wegfall der Vergütung, vorerst vermeiden. Dies liegt auch deshalb nahe, weil sie bei Nichtvorlage eines Nachweises nicht zwangsgeimpft worden wäre.
Dagegen hätten die ihr anvertrauten Patienten hinsichtlich ihres Gesundheitsschutzes keine Wahl gehabt, sondern hätten bei einer erfolgten Täuschung durch die Arbeitnehmerin eine Gesundheitsgefährdung hinnehmen müssen, vor der der Gesetzgeber sie bewahren wollte.
Dr. jur. Günter Schmitt-Rolfes

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