Immer wieder muss sich die Rechtsprechung mit der Frage auseinandersetzen, wann ein Arbeitnehmer gegen seinen Arbeitgeber Anspruch auf Überstundenvergütung hat, und hierbei natürlich mit der Frage, wann durch den Arbeitnehmer geleistete Überstunden überhaupt vorliegen (vgl. u. a. BAG, Urt. v. 4.5.2022 – 5 AZR 359/21; LAG Niedersachsen, Urt. v. 6.5.2021 – 5Sa1292/20).
Von Überstunden oder Überarbeit spricht man, wenn die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit überschritten wird, die durch Kollektivvertrag (Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung) oder Arbeitsvertrag festgelegt ist (BAG, Urt. v. 25.7.1996 – 6 AZR 138/94, EzA § 611 BGBMehrarbeit Nr. 6). Der Arbeitnehmer hat zur Begründung einer Klage auf Vergütung geleisteter Überstunden zunächst darzulegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat.
Da der Arbeitgeber die Vergütung nur für von ihm veranlasste Überstunden zahlen muss, hat der Arbeitnehmer weiterhin vorzutragen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat (BAG v. 4.5.2022, a. a. O.).
Beweislast für die Mehrarbeit
Somit ist für eine erfolgreiche Überstundenklage nicht nur Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer Mehrarbeit geleistet hat, die über seine vertraglich vorgesehene Arbeitszeit hinausgeht, vielmehr muss diese Mehrarbeit auch in irgendeiner Weise dem Arbeitgeber zugerechnet werden können. Überstunden müssen vom Arbeitgeber
- angeordnet,
- gebilligt,
- geduldet
oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig sein. Den Arbeitnehmer trifft die Beweislast.
1. Anordnung der geleisteten Überstunden
Soweit es um die Anordnung von Überstunden geht, hat der Arbeitnehmer vorzutragen, wer wann und auf welche Weise Überstunden angeordnet hat. Allein die Anwesenheit des Arbeitnehmers am Arbeitsort begründet nicht die Vermutung, die Überstunden seien notwendig gewesen.
2. Billigung der geleisteten Überstunden
Die Billigung beinhaltet die Anerkennung vorher geleisteter Überstunden; der Arbeitgeber muss zu erkennen geben, er sei mit diesen Überstunden einverstanden gewesen.
3. Duldung der geleisteten Überstunden
Unter Duldung ist zu verstehen, dass der Arbeitgeber von den Überstunden weiß und keine Vorkehrungen trifft, sie zu unterbinden.
4. Betriebliche Notwendigkeit für die geleisteten Überstunden
Die betriebliche Notwendigkeit setzt voraus, dass die Arbeit nur unter Ableistung der Überstunden zu bewältigen ist (hierzu insgesamt: LAG Niedersachsen, Urt. v. 6.5.2021 – 5Sa1292/20, Rn. 25).
EuGH-Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung
Diese Grundsätze werden durch das Urteil des EuGH vom 14.5.2019 (C-55/18 [CCOO]), wonach die Mitgliedsstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen, nicht modifiziert (BAG v. 4.5.2022,a. a. O.; LAG Niedersachsen, Urt. v. 6.5.2021 – 5Sa1292/20, Rn. 24).
Die Entscheidung des EuGH vom 14.5.2019 vermag die traditionellen Regeln für die Darlegungs- und Beweislast in einem Überstundenprozess nicht zu modifizieren. Es fehlt dem EuGH insoweit die Kompetenz, die nationale Rechtsordnung zu ändern. Somit gelten weiterhin die bekannten und tradierten Grundsätze, die das BAG in ständiger Rechtsprechung aufgestellt hat.
Dr. jur. Günter Schmitt-Rolfes

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