Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
Nur deutsche Großunternehmen als Adressat?
Zunächst stellt sich aus Sicht von Unternehmen die Frage, inwiefern das LkSG sie überhaupt adressiert. Auf den ersten Blick wendet sich das Gesetz vorrangig an deutsche Großunternehmen; konkret an solche Unternehmen, die ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz in Deutschland haben und in der Regel mindestens 3.000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 LkSG). Doch auch ausländische Unternehmen sind in den Anwendungsbereich einbezogen, wenn sie eine Zweigniederlassung gem. § 13d HGB in Deutschland haben und in der Regel mindestens 3.000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 LkSG). Zudem gilt bereits ab 1.1.2024 nach einem Jahr Einführungsphase ein verringerter Schwellenwert von 1.000 Arbeitnehmern (§ 1 Abs. 1 Satz 3 LkSG). Der praktische Anwendungsbereich wird damit von ca. 600 Unternehmen ab 1.1.2023 auf ca. 2.800 Unternehmen ab 1.1.2024 schnell deutlich erweitert. Die Zahlen sind der Gesetzesbegründung zugrunde gelegt (BT-Drs. 19/28649, S. 26). Die Rechtsform der jeweiligen Unternehmen soll für die Anwendung keine Rolle spielen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 LkSG), weshalb mitunter auch Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts Adressaten des LkSG sein können (Nietsch/Wiedmann, Adressatenkreis und sachlicher Anwendungsbereich des neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NJW 1-2/2022, S. 1).
Bei der Berechnung der Zahl der Arbeitnehmer sind auch ins Ausland entsandte Arbeitnehmer einzubeziehen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 LkSG), Leiharbeitnehmer dagegen nur soweit ihre Einsatzdauer sechs Monate übersteigt (§ 1 Abs. 2 LkSG). Für die Berechnung bei verbundenen Unternehmen im Sinne des § 15 AktG gilt: Bei der Feststellung der Arbeitnehmerzahl der „Obergesellschaft“ sind die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer sämtlicher konzernangehöriger Gesellschaften zu berücksichtigen, auch hier sind ins Ausland entsandte Arbeitnehmer erfasst (§ 1 Abs. 3 LkSG). HR-Verantwortliche müssen mitunter frühzeitig prüfen, ob ihr Unternehmen unter diesen Bedingungen die jeweiligen Schwellenwerte überschreitet.
Geschützte Rechtspositionen
Um ein Verständnis dafür zu entwickeln, welche Rechtspositionen durch das Gesetz konkret geschützt werden sollen, lohnt sich ein näherer Blick auf die teilweise sehr detaillierten Kataloge des § 2 Abs. 2 und 3 LkSG. Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken. In Anlehnung an den polizeirechtlichen Gefahrenbegriff ist ein menschenrechtliches Risiko im Sinne des Gesetzes ein Zustand, bei dem aufgrund tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Verstoß gegen eines der folgenden Verbote droht:
- das Verbot der Kinderarbeit unter dem zulässigen Alter nach dem Recht des Beschäftigungsortes (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 LkSG),
- das Verbot der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 lit. a–d LkSG),
- das Verbot der Beschäftigung von Personen in Zwangsarbeit (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 LkSG),
- das Verbot aller Formen der Sklaverei (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 LkSG),
- das Verbot der Missachtung des Arbeitsschutzes (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 lit. a–d LkSG),
- das Verbot der Missachtung der Koalitionsfreiheit (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 lit. a–c LkSG),
- das Verbot der Ungleichbehandlung in Beschäftigungsverhältnissen (§ 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG),
- das Verbot des Vorenthaltens eines angemessenen Lohns (§ 2 Abs. 2 Nr. 8 LkSG),
- das Verbot der Herbeiführung einer schädlichen Bodenveränderung, Gewässerverunreinigung, Luftverunreinigung, schädlichen Lärmemission oder eines übermäßigen Wasserverbrauchs (§ 2 Abs. 2 Nr. 9 lit. a–d LkSG),
- das Verbot der widerrechtlichen Zwangsräumung und das Verbot des widerrechtlichen Entzugs von Land, Wäldern und Gewässern (§ 2 Abs. 2 Nr. 10 LkSG) und
- das Verbot der Beauftragung oder Nutzung von Sicherheitskräften, wenn aufgrund mangelnder Unterweisung oder Kontrolle bei ihrem Einsatz das Folterverbot missachtet, Leib oder Leben verletzt oder die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit beeinträchtigt wird (§ 2 Abs. 2 Nr. 11 lit. a–c LkSG).
Darüber hinaus enthält § 2 Abs. 2 Nr. 12 LkSG einen Auffangtatbestand, wonach auch abseits der Nummern 1–11 jedes Tun oder pflichtwidrige Unterlassen verboten ist, das unmittelbar geeignet ist, in besonders schwerwiegender Weise eine geschützte Rechtsposition zu beeinträchtigen und dessen Rechtswidrigkeit bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.
Ein umweltbezogenes Risiko im Sinne des Gesetzes ist analog dazu ein Zustand, bei dem aufgrund tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Verstoß gegen eines der folgenden Verbote droht:
- das Verbot der Herstellung von mit Quecksilber versetzten Produkten (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 LkSG),
- das Verbot der Verwendung von Quecksilber und Quecksilberverbindungen bei Herstellungsprozessen (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 LkSG) und
- das Verbot der Behandlung von Quecksilberabfällen (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 LkSG), jeweils entgegen der Bestimmungen des Minamata-Übereinkommens (BGBl. 2017 II S. 610, 611);
- das Verbot der Produktion und Verwendung von spezifischen Chemikalien (§ 2 Abs. 3 Nr. 4 LkSG),
- das Verbot der nicht umweltgerechten Handhabung, Sammlung, Lagerung und Entsorgung von Abfällen (§ 2 Abs. 3 Nr. 5 LkSG), jeweils nach den Bestimmungen des POPs-Übereinkommens (BGBl. 2002 II S. 803, 804);
- Verbote der Ein- (§ 2 Abs. 3 Nr. 8 LkSG) und Ausfuhr (§ 2 Abs. 3 Nr. 6, 7 LkSG) gefährlicher Abfälle nach den Bestimmungen des Baseler Übereinkommens (BGBl. II S. 306, 307).
Die umfassende Auflistung verdeutlicht die Vielschichtigkeit und Komplexität der Risiken in einer globalen Lieferkette.
Sorgfaltspflichten der Unternehmen
Für die betroffenen Unternehmen stellt sich angesichts dieser Flut an Verboten die Frage, welche Sorgfaltspflichten zum Schutze der genannten Rechtsgüter konkret bestehen. § 3 Abs. 1 Satz 1 LkSG formuliert diesbezüglich zunächst die Verpflichtung von Unternehmen, „in ihren Lieferketten die in diesem Abschnitt festgelegten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten mit dem Ziel, menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken vorzubeugen oder sie zu minimieren oder die Verletzung menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten zu beenden“. Als Kriterien zur Beurteilung der „angemessene Weise eines Handelns, das den jeweiligen Sorgfaltspflichten genügt“, nennt das Gesetz Art und Umfang der Geschäftstätigkeit, das Einflussvermögen auf den unmittelbaren Verursacher, die typischerweise zu erwartende Schwere der Verletzung sowie deren Umkehrbarkeit und Wahrscheinlichkeit und die Art des Verursachungsbeitrags des Unternehmens (§ 3 Abs. 2 Nr. 1–4 LkSG). Neben dieser abstrakten Verpflichtung statuiert das Gesetz jedoch auch konkrete und nachprüfbare Handlungspflichten.
Risikomanagement
Der erste Schritt zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten besteht in der Errichtung eines Risikomanagements (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LkSG). Dieses muss durch Maßnahmen in allen maßgeblichen Geschäftsbereichen verankert sein, die es ermöglichen, menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken zu erkennen und zu minimieren sowie Verletzungen menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten zu verhindern, zu beenden oder zumindest deren Ausmaß zu minimieren, wenn das Unternehmen diese Risiken oder Verletzungen innerhalb seiner Lieferkette verursacht oder dazu beigetragen hat (§ 4 Abs. 2 LkSG). Zur Überwachung dieser Maßnahmen müssen eine oder mehrere konkrete Personen innerhalb des Unternehmens benannt werden (Menschenrechtsbeauftragter; § 4 Abs. 3 Satz 1 LkSG). Hierzu ist nicht zwingend ein neuer Arbeitsplatz zu schaffen. Stattdessen kann die Aufgabe des Risikomanagements auch einer bereits existierenden Stelle übertragen werden. Nichtsdestotrotz dürften die mit den Sorgfaltspflichten einhergehenden Aufgaben nach § 3 Abs. 1 Satz 2 LkSG – zumindest in den meisten Unternehmen – einen durchaus relevanten Umfang annehmen, sodass hierfür entsprechende Kapazitäten geschaffen werden müssen. Die Empfehlung, wo konkret das Risikomanagement personell anzusiedeln ist, hängt von den Gegebenheiten im Unternehmen ab. In Betracht kommen die Bereiche Legal oder Compliance, in Hinblick auf den arbeitsrechtlichen Bezug vieler Verbote jedoch auch der HR-Bereich. Weniger sinnvoll erscheint es dagegen, das Risikomanagement in die Einkaufsabteilung zu implementieren, da insbesondere ihr Handeln überwacht werden muss und damit Interessenkonflikte naheliegen. Die Geschäftsleitung muss sich mindestens einmal jährlich über die Arbeit der zuständigen Person oder Personen informieren (§ 4 Abs. 3 Satz 2 LkSG).
Risikoanalysen
Ein wichtiger Teil des Risikomanagements sind regelmäßige Risikoanalysen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LkSG). Im Rahmen dieser Analysen müssen Unternehmen die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken im eigenen Geschäftsbereich und bei ihren unmittelbaren Zulieferern ermitteln (§ 5 Abs. 1 Satz 1 LkSG).
Begriff des Geschäftsbereichs
Schwierigkeiten bietet bereits die Frage, wie der „eigene Geschäftsbereich“ eines Unternehmens zu definieren ist. Hilfestellung bietet eine Legaldefinition in § 2 Abs. 6 LkSG: „Der eigene Geschäftsbereich im Sinne dieses Gesetzes erfasst jede Tätigkeit des Unternehmens zur Erreichung des Unternehmensziels. Erfasst ist damit jede Tätigkeit zur Herstellung und Verwertung von Produkten und zur Erbringung von Dienstleistungen, unabhängig davon, ob sie an einem Standort im In- oder Ausland vorgenommen wird.“ Abschließende Klarheit mag diese Definition jedoch leider nicht herzustellen. Unsicherheit besteht insbesondere in Hinblick auf mittelbare Wertschöpfungsfaktoren wie bspw. das Mobiliar in einem Büro oder das Essen in einer Betriebskantine (Nietsch/Wiedmann, a. a. O., S. 3). Während die Büroausstattung zur Erbringung der Dienstleistung zwingend „erforderlich“ ist, dürfte dies auf das Essen in der Kantine nicht zutreffen. Die Abgrenzung wird in der Praxis oftmals schwierig sein.
Differenzierung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Zulieferern
Zudem wird im Rahmen der Risikoanalysen die gesetzliche Differenzierung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern relevant. Der Begriff des unmittelbaren Zulieferers ist in § 2 Abs. 7 LkSG legaldefiniert als „ein Partner eines Vertrags über die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, dessen Zulieferungen für die Herstellung des Produkts des Unternehmens oder zur Erbringung und Inanspruchnahme der betreffenden Dienstleistung notwendig sind“. Zu einem mittelbaren Zulieferer besteht dagegen keine direkte Vertragsbeziehung. Um das Erfordernis von umfassenden Risikoanalysen zu vermeiden, könnten Unternehmen versuchen, „unkritische“ Zwischenhändler als unmittelbare Zulieferer dazwischenzuschalten. Ein solches Vorgehen ist jedoch gleich aus mehreren Gründen nicht zielführend. Erstens gilt ein mittelbarer Zulieferer gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 LkSG als unmittelbarer Zulieferer, wenn ein Unternehmen eine derartige missbräuchliche Gestaltung der unmittelbaren Zuliefererbeziehung oder ein Umgehungsgeschäft vorgenommen hat, um die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten in Hinblick auf den unmittelbaren Zulieferer zu umgehen. Zweitens wäre es ein Trugschluss anzunehmen, dass in Bezug auf Menschenrechtszustände bei mittelbaren Zulieferern niemals Pflichten erwachsen können. Zwar enthält das Gesetz besagte notwendige Entschärfung der Sorgfaltspflichten – andernfalls wäre es auch im Hinblick auf mangelnde Kenntnis und fehlende Durchgriffsmöglichkeiten kaum praktikabel –, soweit einem Unternehmen jedoch tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die eine Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht beim mittelbaren Zulieferer möglich erscheinen lassen (sogenannte substantiierte Kenntnis, § 9 Abs. 3 LkSG), bestehen die gleichen Pflichten wie gegenüber unmittelbaren Zulieferern. Insbesondere muss eine Risikoanalyse vorgenommen werden, § 9 Abs. 3 Nr. 1 LkSG. Sollte sich der Verdacht erhärten, muss das Unternehmen „angemessene Präventionsmaßnahmen“ gegenüber dem Verursacher verankern, etwa im Wege der Durchführung von Kontrollmaßnahmen. Zudem muss es ein Konzept zur Verhinderung, Beendigung oder Minimierung der Sorgfaltspflichtverstöße erstellen und umsetzen. Es ist zu erwarten, dass Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ihre Recherche- und Informationstätigkeit ausweiten und in dieser Weise versuchen werden, Unternehmen entsprechend „bösgläubig“ zu machen (Ehmann/Berg, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz [LkSG]: ein erster Überblick, GWR 15/2021, S. 287 [292]).
Bei unmittelbaren Zulieferern müssen die Risikoanalysen grundsätzlich einmal jährlich durchgeführt werden. In der Regel wird nach erstmaliger Analyse eine Aktualisierung ausreichen. Etwas anderes gilt, wenn das Unternehmen mit einer wesentlich veränderten oder wesentlich erweiterten Risikolage in der Lieferkette rechnen muss, etwa durch die Einführung neuer Produkte, Projekte oder eines neuen Geschäftsfeldes (§ 5 Abs. 4 LkSG).
Ein inhaltlicher Schwerpunkt bei der Risikoanalyse sollte auf die arbeitsrechtlich ohnehin hochbrisanten Themen Scheinselbstständigkeit und Drittpersonaleinsatz gelegt werden. Unternehmen müssen zukünftig auch entlang der Lieferkette in angemessenem Maß überprüfen, wie ihre Zuliefererbetriebe den Drittpersonaleinsatz vor Ort organisieren. Angesicht der Erfahrung, wie schwer die Überprüfung bereits im eigenen Unternehmen fallen kann, besteht hier ein großes arbeitsrechtliches Compliance-Risiko.
Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich
Akuter Handlungsbedarf besteht für ein Unternehmen, wenn es im Rahmen seiner Risikoanalyse feststellt, dass bei einem Zulieferer in seiner Lieferkette ein menschenrechtliches und umweltbezogenes Risiko besteht. Konkret ist das Unternehmen gemäß § 6 Abs. 1 LkSG verpflichtet, unverzüglich unterschiedliche Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Zunächst muss die Unternehmensleitung eine Grundsatzerklärung abgeben, § 6 Abs. 2 Satz 2 LkSG. Diese muss das Verfahren beschreiben, mit dem das Unternehmen seine Verpflichtungen aus dem Lieferkettengesetz erfüllen will (§ 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LkSG). Zudem muss die Erklärung die festgestellten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken aufzeigen und Erwartungen, die das Unternehmen an seine Beschäftigten und Zulieferer in der Lieferkette richtet, formulieren (§ 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2, 3 LkSG). Für die Umsetzung der Grundsatzerklärung ist es unerlässlich, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter in diesen Prozess einbinden. Schließlich stehen etwa Mitarbeiter im Einkauf häufig in unmittelbarem Kontakt und Austausch mit Zulieferern und wissen daher, wo genau hingeschaut werden muss. Unternehmen sind gemäß § 6 Abs. 3 Nr. 3 LkSG unter Umständen verpflichtet, ihre Mitarbeiter für den gesamten Bereich Corporate Social Responsibility zu sensibilisieren und den betroffenen Ressorts im Rahmen von Schulungen oder Fortbildungen konkrete Umsetzungsmaßnahmen an die Hand zu geben.
Präventionsmaßnahmen gegenüber unmittelbaren Zulieferern
Auch Unternehmen, die nicht direkt Adressaten des Lieferkettengesetzes sind, werden dessen gravierende Auswirkungen zu spüren bekommen. Denn die unmittelbar adressierten Unternehmen müssen menschenrechts- und umweltbezogene Erwartungen bei der Auswahl ihrer unmittelbaren Zulieferer berücksichtigen (§ 6 Abs. 4 Nr. 1 LkSG). Zudem ist zu erwarten, dass die adressierten Großunternehmen die ihnen gesetzlich auferlegten Sorgfaltspflichten an ihre Lieferanten weitergeben werden. Bei festgestellten Risiken besteht mithin die Verpflichtung der Adressaten, sich die Einhaltung der formulierten Erwartungen von ihren Lieferanten vertraglich zusichern zu lassen. Kleinere Unternehmen werden künftig also – ohne selbst Normadressat zu sein – ebenfalls vom „Dunstkreis“ des Lieferkettengesetzes erfasst.
Haftung bei Verstößen
Ein weiterer viel diskutierter Aspekt des neuen Gesetzes ist die Frage der Haftung bei Verstößen. Die Umsetzung der im Gesetz niedergeschriebenen Sorgfaltspflichten wird durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) kontrolliert werden und somit primär durch Verwaltungs- bzw. Ordnungswidrigkeitsverfahren angestrebt (vgl. §§ 22, 23 LkSG). Hiermit korrespondierend sollen Verstöße mit teilweise drakonisch hohen Bußgeldern von – je nach Art des Verstoßes – bis zu 8 Mio. Euro oder 2 % des weltweiten Jahresumsatzes (bei Unternehmen mit mehr als 400 Mio. Euro Umsatz) geahndet werden.
Unklarer ist die Rechtslage zur zivilrechtlichen Haftung. Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers keine zusätzlichen zivilrechtlichen Haftungsrisiken für Unternehmen durch das LkSG begründet werden sollen. Dies wurde in § 3 Abs. 3 Satz 1 LkSG ausdrücklich klargestellt. Insbesondere sind die Sorgfaltspflichten im LkSG keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Allerdings fehlt es auch an einer Konkurrenzregelung, weshalb die bisherige zivilrechtliche Haftung unangetastet bleibt. Insofern könnten zukünftig vermehrt zivilrechtliche Prozesse drohen, denn Ansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt einer Verkehrspflichtverletzung und Ansprüche nach ausländischem Recht sind ein durchaus realistisches Szenario für deutsche Unternehmen.
Gestärkte Positionen von Gewerkschaften und NGOs
Für ein gesteigertes Prozessaufkommen dürfte auch die – gewissermaßen als Ausgleich für den Ausschluss nach § 3 Abs. 3 Satz 1 LkSG – eingeführte Regelung des § 11 Abs. 1 LkSG sorgen. Sie besagt, dass Gewerkschaften und NGOs künftig die Möglichkeit bekommen, Betroffene in Schadensersatzprozessen vor deutschen Gerichten zu unterstützen. Sofern es in der Lieferkette also zu der Verletzung einer „überragend wichtigen geschützten Rechtsposition“ kommt, können Gewerkschaften die Ansprüche von Betroffenen nach den allgemeinen Vorschriften gerichtlich im eigenen Namen geltend machen („besondere Prozessstandschaft“). Die unmittelbare Einbindung von Gewerkschaften und NGOs soll die Position der Betroffenen im Prozess stärken und die Durchsetzung ihrer Rechte erleichtern. Für die betroffenen Unternehmen kann hiermit ein nicht unerhebliches mediales Interesse am Prozess einhergehen.
Auch über diese neue Rolle hinaus wird das Lieferkettengesetz der Aktivität von Gewerkschaften im Zusammenhang mit Supply Chain Compliance weiter Aufwind verleihen. Schon in der Vorbereitung zum Gesetzgebungsverfahren haben sich Arbeitnehmervertretungen gemeinsam mit weiteren Interessenverbänden für eine umfassende Regulierung der unternehmerischen Verantwortung entlang globaler Lieferketten starkgemacht. Die Themen Menschenrechte, faire Arbeitsbedingungen, Gesundheits- und Umweltstandards stehen bei vielen Gewerkschaften derzeit also ganz oben auf der Agenda. Einige haben bereits angekündigt, sich weiter in diesem Bereich zu engagieren und insbesondere in den Betrieben auf die Einhaltung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten zu drängen.
Reputation und Öffentlichkeit
Die verstärkte Aktivität und Aufmerksamkeit von Gewerkschaften und NGOs befeuert auch einen weiteren Aspekt: Das womöglich größte Risiko bildet der potenzielle Reputationsverlust. So müssen die Unternehmen nicht nur Beschwerdeverfahren einrichten (§ 8 LkSG), sondern auch einen jährlichen Bericht über die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten erstellen und öffentlich auf ihrer Internetseite zugänglich machen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 LkSG). Werden aus einem solchen Bericht Missstände bei Arbeitsbedingungen, der Einhaltung von Menschenrechten oder dem Schutz der Umwelt ersichtlich, kann dies zu einem erheblichen Imageschaden führen. Denn: Nachhaltiges Wirtschaften und soziale Verantwortung spielen eine immer größere Rolle für Kunden, Investoren und Anleger. Auf der anderen Seite kann positives Engagement in den betroffenen Bereichen einen nicht zu unterschätzenden Wettbewerbsvorteil schaffen und die Attraktivität eines Unternehmens als Arbeitgeber erhöhen. Insofern hat das Gesetz das Potenzial, die gesamte Unternehmenskultur nachhaltig zu beeinflussen.
Ausblick
Im Hinblick auf die zukünftigen Entwicklungen im Bereich der unternehmerischen Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette lohnt sich der Blick nach Brüssel und Straßburg. Denn auch auf europäischer Ebene wurden bereits von verschiedenen Institutionen Vorschläge zur Einführung unternehmerischer Sorgfaltspflichten vorbereitet. So leitete die EU-Kommission schon im Oktober 2020 ein öffentliches Konsultationsverfahren ein, an dem verschiedenartige Akteure, wie Unternehmen und gesellschaftliche Gruppen, mitwirkten. Parallel dazu erarbeitete der Rechtsausschuss des EU-Parlaments einen Bericht mit Empfehlungen an die Kommission, der im März 2021 vom Europäischen Parlament angenommen wurde. Im Februar 2022 präsentierte die EU-Kommission nun einen Vorschlag für eine Richtlinie, die mehr Unternehmen in den direkten Anwendungsbereich einbezieht als das deutsche LkSG. Demnach sollen zunächst alle EU-Gesellschaften mit beschränkter Haftung adressiert werden, die über mindestens 500 Beschäftigte und einen Nettoumsatz von mindestens 150 Mio. Euro weltweit verfügen. Zwei Jahre später sollen zudem Gesellschaften mit beschränkter Haftung, mit mehr als 250 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mindestens 40 Mio. Euro weltweit der Richtlinie unterfallen, wenn sie in bestimmten ressourcenintensiven Branchen tätig sind. Ebenfalls betroffen sind in der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten, die die jeweils genannten Nettoumsätze innerhalb der EU erwirtschaften. Soweit der Rat den Vorschlag billigt, haben die Mitgliedstaaten nach seiner Annahme zwei Jahre Zeit, um die Richtlinie in innerstaatliches Recht umzusetzen. Inhaltlich geht der Vorschlag in vielen Punkten über die Vorgaben des LkSG hinaus, weshalb diesem in näherer Zukunft voraussichtlich noch Schärfungen bevorstehen. Auch mit Blick auf das europäische Regelungsvorhaben ist es daher empfehlenswert, sich schon jetzt mit den Anforderungen des LkSG vertraut zu machen und sie unter Beachtung zukünftiger Handreichungen des BAFA in das vorhandene Compliance Management System zu integrieren: Nicht nur, um Gefahren für die Unternehmensreputation auszuschließen oder für Marketingzwecke, sondern auch, um hinsichtlich der zu erwartenden künftigen Verschärfungen gewappnet zu sein.
Paula Wernecke
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