„Der weiteren Konsequenzen sind wir uns noch gar nicht bewusst“
Liebe Frau Dr. Derler, das Thema Nachhaltigkeit gewinnt zunehmend an Bedeutung. Welchen Beitrag leistet die CSRD?
Auf vielen Ebenen bedeutet Nachhaltigkeit im Unternehmen: Welche Wirkung hat das Unternehmen auf Mitarbeitende und wie wirkt sich die Belegschaft auch auf das Unternehmen aus? Da gibt es eine ganz starke Wechselwirkung. In der Vergangenheit hat man nicht immer auf diese menschliche Seite geschaut, sondern die Finanzen im Vordergrund gesehen. Nachhaltigkeit bedeutet, dass man sich dieser Wechselwirkung zwischen Umwelt, Gesellschaft und im Personalbereich den Mitarbeitenden bewusst ist.
Arbeitgebende sollten sich nicht nur auf die Profitabilität ihres Unternehmens konzentrieren, sondern auch sichergehen, dass ein Bewusstsein über die Art und Weise besteht, wie Personalmanagement erfolgt, die Belegschaft behandelt wird und das Erlebnis der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Organisation ist, und dass verantwortungsvoll gehandelt wird.
Die neuen Reporting Requirements verstärken das. ESG ist nicht neu, aber in der Vergangenheit durften Unternehmen z. B. über ihren Umgang mit der Belegschaft berichten, was sie gern möchten. Jetzt gibt es über 30 Personaldaten, die jährlich berichtet werden müssen. Das heißt Kriterien wie z. B. Lohntransparenz oder Diversität werden öffentlich dargestellt. Führungskräfte müssen sich also genau überlegen, wie sie jetzt ihr Personal organisieren und wie sie die Prozesse gestalten, weil die Daten darüber jetzt offengelegt werden müssen. Wenn diese Daten nicht gut aussehen, muss das Unternehmen agieren. Das hat ganz große Implikationen auf die Entscheidungen der Führungskräfte in Bezug auf Umwelt, Gesellschaft und Mitarbeitende, aber auch auf die Investor:innen Community und die Arbeitgebendenmarke.
Berichtspflichten bestanden schon vorher. Worin liegen die Neuerungen?
Neu ist vor allem, dass sich Unternehmen nicht mehr aussuchen können, worüber sie berichten. Die neuen Berichtspflichten erfassen bspw. das Verhältnis von Topgehältern zu den niedrigsten Gehältern – sensible Daten, die jedes Unternehmen bisher gerne geheim gehalten hat. Daneben ist auch über Daten zum Wellbeing der Belegschaft, die Anzahl der Unfälle sowie der Streitigkeiten zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden zu berichten. Im Personalbereich müssen insgesamt die bereits angesprochenen über 30 Metriken berichtet werden. Dabei muss nicht nur die jeweilige Zahl niedergeschrieben werden, sondern – das ist ganz wichtig – auch der Kontext, wie diese Zahl zustande gekommen ist. Das hat große Auswirkungen auf den Personalbereich: Die Verantwortlichen können nicht nur Zahlen abgeben und hoffen, dass niemand nachfragt, sondern müssen Kommentare dazu abgeben und Veränderungen erklären.
Neu sind außerdem die finanziellen Sanktionen bei Nichteinhaltung der Berichtspflichten i.H.v. 5% des Jahresumsatzes.
Welche weiteren Konsequenzen bringt die Nichteinhaltung mit sich?
Der weiteren Konsequenzen sind wir uns noch gar nichtbewusst. Offiziell geht es erst 2025 los. Das heißt aber, dass man bereits 2024 die entsprechenden Daten sammeln muss und der Zeitpunkt gar nicht mehr so weit entfernt liegt, wie einige denken. Neu ist auch, dass diese Daten dann keine reinen Unternehmensinterna mehr sind, sondern nach außen gelangen. Das schafft Transparenz, hat aber auch die Konsequenz, dass nicht nur Investor:innen, sondern auch (potenzielle) Mitarbeitende Zugriff darauf haben. Das könnte sich auch auf die Mitarbeitendengewinnung auswirken.
Können Unternehmen daraus etwas für den Kampf um Arbeitskräfte mitnehmen und die Pflichten aus der Richtlinie für sich nutzen?
Das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Deswegen begrüßt die Personal Community die Direktive auch sehr. Die Rolle der Mitarbeitenden wird hervorgehoben, deren Stellenwert wird erhöht, sie bekommen mehr strategische Wirkung, weil man plötzlich die Expertise der Personalabteilung benötigt, die mithilft, das Reporting besser zu machen.
Einen weiteren Vorteil sehe ich bei der ganzen Diversitätsfrage: Die Diversitätsindikatoren, die Teil dieser Metriken sind, die abgegeben werden müssen, waren bis jetzt ein Nice-to-have, aber ganz ohne Zwang. Jetzt besteht aber die Berichtspflicht, d.h. auch der Rest der Organisation wird gezwungen, sich mit dem jeweiligen Thema (z. B. Frauenanteil in der Führung, Lohngefälle) auseinanderzusetzen. Das sind alles Dinge, an denen die Personalabteilung ohnehin schon arbeitet. Nun wird die gesamte Organisation gezwungen, diese Veränderungen endlich wirklich anzugehen mit ganz konkreten strategischen Maßnahmen.
Welche Maßnahmen sollten das sein?
Für diejenigen, die im People Analytics Bereich tätig sind, ist ESG schon lange Teil ihrer Arbeit. Diese Unternehmen nehmen allerdings eine Vorreiterrolle ein. Der Großteil hat die Bedeutung noch nicht erkannt und muss jetzt langsam aufwachen. Die notwendigen Daten lassen sich am 1.1.2025 nicht ohne Weiteres aus dem Computer ziehen.
Die betroffenen Unternehmen sollten bereits jetzt Daten sammeln und sich bewusst werden, wer zuständig ist. Das ist idealerweise nicht nur das Sustainability Team, sondern auch HR. Ich würde bei den Fragen anfangen: Bei welchen Stellen liegt die Verantwortung? Welche Rolle spielt HR? Mit wem müssen wir als Personalabteilung innerhalb des Unternehmens zusammenarbeiten? Wichtig ist auch, dass ein Bewusstsein darüber herrscht, wie und was berichtet wird und wenn die Zahlen nicht den Vorstellungen entsprechen: Was lässt sich verbessern?
Daneben sollten Unternehmen ihr System schnellstmöglich in Kraft setzen. Ich spreche von einem System, da Daten sammeln allein nicht ausreicht. People Analytics ist eine Möglichkeit, die Daten zusammenzuführen, damit diese sich in den jeweiligen Zusammenhängen berichten lassen. Schauen wir uns z. B. die Bindung von Mitarbeitenden aller Altersgruppen an: Das ist nicht nur eine Zahl, sondern das setzt sich aus verschiedenen Datensätzen zusammen. Diese sollten zum Zeitpunkt der Berichterstattung idealerweise bereits gerichtet sein. Das heißt, zu diesem Zeitpunkt sollte das System eingerichtet sein und funktionieren. Vor allem da es sich um eine regelmäßige Berichtserstattung handelt, lohnt es sich, diese wichtigen Fragen jetzt zu klären: Wer übernimmt die Berichterstattung? Welche Prozesse sind bereits organisiert oder geplant? Welches technische System wird errichtet, damit sowohl die Datenverarbeitung als auch die Berichterstattung selbst erleichtert wird?
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Welche Rolle spielt die Einbindung der Belegschaft bei der Umsetzung der Richtlinienanforderungen und bei Nachhaltigkeitszielen allgemein?
Die wichtigste Rolle bei der Umsetzung spielt die oberste Personalleitung. Selbst wenn das Sustainability Team woanders sitzt, ist das Wichtigste, dass sich die gesamte Personalabteilung bewusst ist, welche Berichtspflichten bestehen und sie bei der Umsetzung mithelfen kann. Denn aktuell haben wir noch keine Benchmarks, wir wissen noch nicht, was eine gute oder eine schlechte Zahl ist. Die Unternehmen werden zukünftig natürlich gute Zahlen anstreben müssen. Das passiert nicht allein auf der Führungsebene oder in einzelnen Teams. Dafür braucht es die gesamte Belegschaft.
Lässt sich die RL als Chance für Unternehmen und insbesondere die Personalabteilung begreifen?
Aus meiner Sicht ja. Die Intention jeder Nachhaltigkeitsinitiative ist es, Prozesse auf lange Zeit zu verbessern. Personalverantwortliche müssen jetzt zunächst verstehen, was die Regelungen in der Praxis bedeuten und dann innerhalb der Organisation die richtigen Leute für die Umsetzung finden. Schließlich müssen die Verantwortlichen die strategische Bedeutung von HR erkennen. Dort sehe ich die größte Herausforderung. HR muss jetzt einen sog. „Platz am Tisch“ bekommen. Die Thematik darf nicht einfach ins Nachhaltigkeitsteam geschoben werden. Denn der HR-Abteilung kommt eine Schlüsselfunktion zu. HRler:innen müssen sich zwingend damit befassen und das passiert nicht, wenn die Zuständigkeit vollständig an anderer Stelle liegt.
Hier spielt auch der zu beobachtende Wertewandel hinein. Vor allem den jungen Mitarbeitenden sind Fairness und Transparenz extrem wichtig. Probleme rund um den Fachkräftemangel können Unternehmen nur in den Griff bekommen, wenn sie das ernst nehmen und sich um ihre Belegschaft bemühen.
Zeichnet sich ab, dass es Unternehmen, die freiwillig auf Nachhaltigkeit setzen, leichter fällt, Mitarbeiter zu gewinnen?
Meiner Erfahrung nach haben diese Arbeitgebenden dieselben Probleme mit dem Fachkräftemangel, sie gehen allerdings ganz anders damit um. Sie sind viel kompetenter, viel effektiver, viel agiler. Sie schauen sich ihre Daten an und schließen daraus auf die relevanten Einflussfaktoren: Wo fehlen Fachkräfte? Welche Umstände könnten an dieser konkreten Stelle ausschlaggebend sein? Da gibt es keine große Verwirrung oder interne politische Diskussion. Das wird gemacht – fertig. Da sind wir wieder an dem Punkt: Es kommt vor allem anderen auf die richtigen Leute an. Die Mitarbeitenden müssen die richtige Einstellung mitbringen und langfristig sowie vorausschauend denken.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anne Politz.
Dr. Andrea Derler
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