„Diese Regelungen sind […] die heilige Kuh der Gewerkschaftsbewegung“

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 Bild: Nuthawut/stock.adobe.com
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In Deutschland ist der Sonntag traditionell ein Ruhetag. Doch wie sinnvoll ist es, dass die Arbeit standardmäßig ruht und die meisten Geschäfte geschlossen bleiben? Wie bewerten Sie die aktuelle Rechtslage hierzu?

Lelley: In Deutschland ist der Sonntag traditionell als Ruhetag festgelegt, was auf historischen, kulturellen und religiösen Traditionen basiert. Die aktuelle Rechtslage in Deutschland schützt den Sonntag als Ruhetag und die meisten Geschäfte bleiben geschlossen. Dies ist einmal im Ladenschlussgesetz geregelt, das den Schutz von Arbeitnehmern und die Förderung der Arbeitsruhe am Sonntag bezweckt. Und dann, für die Personalarbeit mindestens genauso wichtig, im Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit des ArbZG.

Diese Regelungen sind, so scheint mir, die heilige Kuh der Gewerkschaftsbewegung. Dabei ist natürlich klar: Die Frage, ob diese Regelung sinnvoll ist, hängt von verschiedenen Perspektiven ab. Aus arbeitsrechtlicher Sicht dient der arbeitsfreie Sonntag dem Schutz der Arbeitnehmer und der Förderung von Erholung und sozialen Aktivitäten. Allerdings sollte eine Debatte darüber entstehen, ob diese Regelung mit den heutigen Bedürfnissen und Veränderungen in der Arbeitswelt im Einklang steht. Die Praxisferne und den Anachronismus der Sonn- und Feiertagsruhe zeigt dann auch schon der Blick ins Gesetz: Dort sind in §10 ArbZG mehr als 16 (!) Ausnahmen vorgesehen. Dazu kommt noch die Ermächtigungs-, Anordnungs- und Bewilligungsbefugnis für weitere Ausnahmen.

Yakhloufi und Hawranke: Ganz richtig, der Sonntag gilt, als ursprünglich christlicher Feiertag, arbeitsrechtlich als Ruhetag. In den landesrechtlichen Feiertagsgesetzen ist der Sonntag stets ein Feiertag. Im ArbZG wird – allerdings nur sprachlich und ohne grundsätzliche rechtliche Konsequenz – zwischen Sonn- und Feiertagen differenziert. So heißt es in § 9 Abs. 1 ArbZG: „Arbeitnehmer dürfen an Sonn- und Feiertagen von 0 bis 24 Uhr nicht beschäftigt werden.“

Jedoch gilt im Recht stets: Keine Regel ohne Ausnahme. Aus diesem Grund gilt das ArbZG in seinem Grundsatz bereits nicht für alle Arbeitnehmer (§§ 18ff. ArbZG). So fallen etwa Angestellte von Religionsgemeinschaften nicht darunter. Ansonsten fiele schließlich der sonntägliche Gang in die Kirche ins Wasser.

Selbst innerhalb seines Anwendungsbereichs gilt der eben zitierte Grundsatz der Sonn- und Feiertagsruhe ebenso nicht für alle Arbeitnehmer. Das ArbZG kennt einen breiten Katalog an Ausnahmeberufen und Sonderkonstellationen. Kurz gesagt: Brände werden gelöscht, die Sonntagsspiele der Bundesliga sind nicht in Gefahr und auch für Katastrophen ist vorgesorgt.

Andere Länder dagegen kennen das Modell des arbeitsfreien Sonntags nicht. So ist es etwa in Großbritannien möglich, seine Einkäufe auch sonntags zu erledigen. Jedoch muss man sagen, dass Großbritannien eher die Ausnahme im internationalen Vergleich darstellt. In den meisten Ländern der EU kann man seine Einkäufe sonntags überhaupt nicht erledigen.

Welche Vorteile bringt die Änderung oder Aufhebung dieser Regelungen für Unternehmen?

Lelley: Unternehmen könnten bspw. durch längere Öffnungszeiten zusätzliche Umsätze generieren und die Flexibilität für Kunden erhöhen. Unternehmen könnten ihre Produktivität steigern, da sie ihre Betriebszeiten ausdehnen könnten. Allerdings müsste dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmer und der Gesellschaft als Ganzes erfolgen.

Yakhloufi und Hawranke:Hier ist zu differenzieren, ob der arbeitsfreie Sonntag mit oder ohne Ersatz wegfallen soll.

Blendet man die Frage der Umsetzbarkeit aus, ließen sich aus der Mehrarbeit von Arbeitnehmern Vorteile für den Arbeitgeber herleiten. So wäre es z. B. für Dienstleister möglich, ihre Dienstleistungen tagtäglich anzubieten und Umsätze könnten auch sonntags generiert werden, die bislang ersatzlos wegfielen.

Jedoch wären auch die Nachteile für Unternehmen zu berücksichtigen. Arbeitnehmer brauchen Ruhetage – nicht lediglich zu ihrem seelischen Wohl, um Stress zu reduzieren, sondern auch um produktiver sein zu können. Ein ausgeschlafener Mitarbeiter kann schneller und effektiver arbeiten als jemand, der bereits eine Nachtschicht in den Knochen hat. Dauerhafter Stress führt langfristig zu einer erhöhten Krankheitsrate und zu einem Verlust an Produktivität durch den Verlust an Arbeitskräften. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Arbeitssicherheit. Ausgeruhte und entspannte Arbeitnehmer verursachen seltener Arbeitsunfälle und sind seltener in selbige involviert. Da Arbeitsunfälle nicht bloß unmittelbar zum Verlust von Arbeitskapazitäten und Arbeitserzeugnissen führen, sondern auch mittelbar die Moral der Belegschaft negativ beeinflussen, haben Arbeitgeber auch in diesem Sinne ein Eigeninteresse an ausgeruhten Arbeitnehmern. Demnach wäre es erforderlich, einen Ausgleichstag unter der Woche einzuführen, was im Endeffekt für den Arbeitgeber keinen Mehrwert bedeuten würde, da jeder Arbeitnehmer für sich genommen ebenso viel arbeiten würde wie zuvor. Es käme lediglich zu einer Verschiebung der arbeitsfreien Tage. Entsprechende Regelungen finden sich bereits jetzt in § 11 Abs. 3 ArbZG für die Berufsgruppen, die unter einen der Ausnahmetatbestände des Arbeitsverbots aus § 9 Abs. 1 ArbZG fallen. Demnach ist ein Ersatzruhetag nach einer Sonntagsbeschäftigung binnen zwei Wochen zu gewähren.

Das Buch geht auf die realen Arbeitssituationen, die im Umbruch sind, ein und zeigt sowohl arbeitsrechtliche Herausforderungen als auch erste, bereits in der Unternehmenspraxis umgesetzte Lösungsansätze auf.

Würden nicht einige Mitarbeiter zu Konkurrenten abwandern, die weiterhin den arbeitsfreien Sonntag garantieren?

Yakhloufi und Hawranke: Sicherlich könnten Arbeitnehmer sich andere Arbeitgeber suchen, die einen arbeitsfreien Sonntag garantieren, sollte es zu einer einseitigen Festlegung durch den Arbeitgeber zu einer Mehrarbeit kommen. In diesen Fällen läge aber sicherlich noch anderes im Argen als lediglich eine Erhöhung der Arbeitszeiten. Insbesondere im Hinblick auf die derzeitige Arbeitsmarktlage können sich immer mehr qualifizierte Fachkräfte aussuchen, wo sie arbeiten möchten; auch die Verhandlungsposition für Gehälter wird immer besser. Demnach ist die Frage des Abwanderns eher zweitrangig. Die Frage müsste eher sein: Was sind Arbeitgeber bereit, ihren Arbeitnehmern für die Mehrarbeit anzubieten? Diese Frage kann nur im Einzelfall beantwortet werden.

Denkbar wäre z. B., wie bereits angesprochen, dass ein Arbeitnehmer für den Verlust des arbeitsfreien Sonntags einen Ausgleichstag erhält, an dem er nicht arbeitet, so wie es das Gesetz bereits aktuell bei Einschlägigkeit der Ausnahmetatbestände in § 11 Abs. 3 ArbZG vorsieht. Dann würde es zu der dargestellten Verschiebung der arbeitsfreien Tage kommen, die ggf. im Wege der Verhandlung sogar einigungsfähig wäre, da man an seinem jeweiligen freien Tag alle Annehmlichkeiten wie geöffnete Geschäfte genießen könnte.

Für andere Arbeitnehmer könnte der arbeitsfreie Sonntag dagegen auch unverhandelbar sein – etwa für besonders christlich religiöse Arbeitnehmer, für die der Sonntag – wie erwähnt – ein Feiertag ist, an dem sie nicht arbeiten dürfen. Die gegenseitigen Rücksichtnahmepflichten, die aus dem Arbeitsvertrag entspringen, verpflichten auch den Arbeitgeber, dies zu berücksichtigen, sodass Weisungen unbillig und damit unwirksam sein könnten, selbst wenn die Arbeit an Sonntagen gesetzlich erlaubt wäre.

Lelley: Ein solches Abwandern ist denkbar. Die Work-Life-Balance ist für viele Arbeitnehmer ein wichtiges Kriterium bei der Wahl ihres Arbeitgebers. Unternehmen, die den Sonntag als Ruhetag beibehalten, könnten dadurch im Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte besser dastehen. Aber werfen wir auch hier einmal einen Blick über die Grenzen: In einem Vergleich mit den USA und Frankreich lassen sich unterschiedliche Ansätze zur Regelung der Arbeitsruhe, insbesondere am Sonntag, feststellen. In den USA gibt es keine bundesweite Regelung für einen arbeitsfreien Sonntag. Die Arbeitsgesetze variieren je nach Bundesstaat. In einigen Staaten gibt es keine Beschränkungen, während andere spezifische Vorschriften haben. In der Regel sind Geschäfte und Unternehmen am Sonntag geöffnet, und es gibt keine einheitliche landesweite Tradition, den Sonntag als Ruhetag zu betrachten. Die Entscheidung über Öffnungszeiten liegt oft im Ermessen der Unternehmen. Prominentes Beispiel ist dort sicher die Schnellrestaurantkette Chick-fil-A: Alle diese Restaurants bleiben am Sonntag geschlossen – auch aus Gründen der religiösen Erbauung, wie man bei uns vielleicht sagte. Und die sind mit dieser unternehmerischen Entscheidung sehr erfolgreich.

Im Gegensatz dazu hat Frankreich strengere gesetzliche Bestimmungen, die die Arbeit an Sonntagen begrenzen und regulieren. In vielen Branchen ist die Sonntagsarbeit genehmigungspflichtig. Aber auch in Frankreich ist es z. B. kein Problem, sonntags Lebensmittel einzukaufen, und zwar auch in den großen Supermarktketten.

Eine Änderung der deutschen Gesetzgebung, um den arbeitsfreien Sonntag flexibler zu gestalten, könnte Deutschland in Richtung des US-Modells bewegen, mit mehr Betonung auf unternehmerische Freiheit.

Maximilian Hawranke

Maximilian Hawranke
Rechtsanwalt, Associate, Rödl & Partner, Eschborn

Dr. Jan Tibor Lelley

Dr. Jan Tibor Lelley
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner, BUSE, Frankfurt am Main

Aziza Yakhloufi

Aziza Yakhloufi
Rechtsanwältin, Partnerin und Bereichsleiterin Arbeitsrecht, Rödl & Partner, Eschborn
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„Diese Regelungen sind […] die heilige Kuh der Gewerkschaftsbewegung“
Seite 22 bis 23
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