Ersatz eigener Anwaltskosten durch den Prozessgegner?

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Nach einer neueren Rechtsprechung des BAG hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber grundsätzlich die durch das Tätigwerden einer spezialisierten Anwaltskanzlei entstandenen notwendigen Kosten zu ersetzen, wenn der Arbeitgeber diese anlässlich eines konkreten Verdachts einer erheblichen Verfehlung des Arbeitnehmers mit Ermittlungen gegen den Arbeitnehmer beauftragt hat und der Arbeitnehmer einer schwerwiegenden vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung überführt wird (BAG, Urt. v. 29.4.2021 – 8 AZR 276/20).

Gesetzlicher Ausschluss der Kostenerstattung

Anlässlich dieses Ausspruchs rückt § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG ins Blickfeld, der bestimmt, dass in Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigung besteht wegen Zeitverlust und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder Beistands (§ 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG).

Auf den ersten Blick steht diese gesetzliche Vorschrift in Widerspruch zu der obigen Leitsatzentscheidung des BAG mit seinem Urteil vom 29.4.2021.

Das BAG hat in der genannten Entscheidung die Vorschrift des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG jedoch nicht übersehen, sondern sich sogar ausführlich mit dieser Vorschrift auseinandergesetzt, indem es sinngemäß ausführt: Der Zweck von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG bestehe darin, das erstinstanzliche arbeitsgerichtliche Verfahren zum Schutz des i. d. R. sozialschwächeren Arbeitnehmers möglichst zu verbilligen und damit das Kostenrisiko überschaubar zu halten. Arbeitnehmer sollen wegen ihrer typischerweise bestehenden wirtschaftlichen Unterlegenheit auch dann, wenn sie im Arbeitsgerichtsprozess unterliegen, nicht mit den in § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG genannten Kosten belastet werden. Hierdurch solle vermieden werden, dass sie in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten von einer gerichtlichen Verfolgung bestehender Ansprüche absehen. Allerdings gelte § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG aus Gründen der gebotenen Parität auch für den Arbeitgeber oder eine sonstige Partei, die vor dem Arbeitsgericht unterliegt.

Danach solle keine Partei damit rechnen können oder müssen, dass ihr im Fall des Obsiegens die Kosten der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten sowie die Kosten für Zeitversäumnis erstattet oder dass ihr im umgekehrten Fall des Unterliegens die Kosten des Bevollmächtigten des Gegners sowie die Kosten des Zeitversäumnisses des Gegners auferlegt werden (BAG, Urt. v. 29.4.2021 – 8 AZR 276/20, Rn. 38).

Erstattung von Rechtsanwaltskosten

Allerdings würde der Schutz eines Arbeitnehmers vor einer Erstattungspflicht für Anwaltskosten, die dem Arbeitgeber zur Abwendung drohender Nachteile entstehen, die ihrerseits auf einer vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung oder unerlaubten Handlung des Arbeitnehmers beruhen, zu zweckwidrigen Ergebnissen führen und dem Rechtsgedanken des § 242 BGB zuwiderlaufen.

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Es wäre mit dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unvereinbar, wenn sich der Arbeitnehmer, der eine vorsätzliche Vertragspflichtverletzung oder vorsätzliche unerlaubte Handlung begangen hat, darauf berufen könnte, der Arbeitgeber müsse die Aufwendungen selbst tragen, die durch eben diese vorsätzliche Vertragspflichtverletzung oder vorsätzliche unerlaubte Handlung veranlasst wurden. Insoweit beschränke sich die Bedeutung von § 242 BGB nicht auf die Leistungserbringung, vielmehr wirkt der Grundsatz von Treu und Glauben rechtbegrenzend, indem er nicht nur den Willen der Vertragsparteien, sondern auch den Anwendungsbereich einer Norm begrenzt (BAG, Urt. v. 29.4.2021 – 8 AZR 276/20, Rn. 39).

Allerdings muss in einem solchen Fall der Arbeitgeber dartun, dass die geltend gemachten Kosten erforderlich waren. Hierfür notwendig ist eine substantiierte Darlegung, welche konkreten Tätigkeiten wann und in welchem zeitlichen Umfang wegen welchen konkreten Verdachts gegen den Arbeitnehmer von der beauftragten Anwaltskanzlei ausgeführt wurden (BAG, Urt. v. 29.4.2021 – 8 AZR 276/20, Rn. 40).

Teleologische Reduktion

Im Ergebnis ist also in solchen Fällen eine teleologische Reduktion von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG geboten (BAG, Urt. v. 29.4.2021 – 8 AZR 276/20, Rn. 37).

Die teleologische Reduktion ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die nach ihrem Wortlaut anzuwendende Vorschrift hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle für gleichwohl anwendbar hält, weil Sinn und Zweck, Entstehungsgeschichte und Zusammenhang der einschlägigen Regelung gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen. Die Reduktion setzt voraus, dass der gesetzessprachlich erfasste, d. h. der gesetzlich in bestimmter Weise geregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes nach einer anderen Entscheidung verlangt als die übrigen geregelten Fälle, um Wertungswidersprüche zu vermeiden (BAG, Urt. v. 29.4.2021 – 8 AZR 276/20, Rn. 35).

Dr. jur. Günter Schmitt-Rolfes

Dr. jur. Günter Schmitt-Rolfes
München
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· Artikel im Heft ·

Ersatz eigener Anwaltskosten durch den Prozessgegner?
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