„Es nimmt den Menschen die Existenzangst“

Grundeinkommen, Fachkräftemangel und erfolgreiche Führung
Die Diskussion ist wieder voll im Gange: Grundeinkommen ja oder nein, bedingungslos oder nicht – die Befürworter und Gegner sind nicht mehr eindeutig einem bestimmten politischen oder gesellschaftlichen Lager zuzuordnen. Das macht den Weg frei für eine differenzierte Betrachtung der Thematik.
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Götz Werner, Drogeriemarktgründer und Visionär bei einer Rede zur Zukunft der Arbeit Bild: Christian Mang
Götz Werner, Drogeriemarktgründer und Visionär bei einer Rede zur Zukunft der Arbeit Bild: Christian Mang

Götz Werner, Gründer und Aufsichtsratsmitglied der Drogeriemarktkette dm, kennt die Sicht der Unternehmen nur zu gut. Er spricht sich für ein Grundeinkommen in der bedingungslosen Variante aus und hat hierzu die Initiative „Unternimm die Zukunft“ ins Leben gerufen. Wir haben hierüber mit ihm im Nachgang seiner Rede auf der Xing-NWX zur Zukunft der Arbeitswelt gesprochen und wollten wissen, wie man ganz aktuell auf den Fachkräftemangel reagieren sollte.

Herr Werner, bevor wir zu Ihrem Lieblingsthema kommen: Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum.

Vielen Dank.

Sie sind vor ziemlich genau 10 Jahren von der Geschäftsführung in den Aufsichtsrat gewechselt. Hat sich Ihr Blick auf das Geschäft und die Personalarbeit im Unternehmen verändert?

Als Aufsichtsrat blickt man auf die Dinge anders, als wenn man in der operativen Verantwortung ist. Wesentlich sind dabei Fragen, wie: Werden die Menschen in ihrer individuellen Entwicklung gefördert? Haben wir es mit freien Menschen zu tun, die gerne ihre Lebenszeit im Unternehmen einbringen?Erkennen möglichst viele einen Sinn in dem, was sie tun? Und dann ist im Prinzip alles ganz einfach: Dann muss man nur noch die Wünsche und Bedürfnisse seiner Kunden antizipieren und die besten Lösungen anbieten. Wir müssen einen Sog auslösen, so dass die Menschen sagen, bei denen stimmt die Komposition, da gehe ich am liebsten einkaufen.

Damals haben Sie viel von Vertrauen gesprochen, das der Belegschaft entgegengebracht werden muss und ein Höchstmaß an Transparenz im Unternehmen gefordert. Sind das noch immer die Zutaten für erfolgreiche Führung?

Zutrauen und Sinnstiftung sind das Fundament für eine gelingende Unternehmung. Die Kollegen brauchen Freiraum, sie müssen sich als Mensch wertgeschätzt fühlen. Und die Führungsverantwortlichen müssen dafür sorgen, dass die Aufgaben sinnvoll und handhabbar sind. Das alles überträgt sich auch auf die Kunden: Wenn die spüren, dass es im Team stimmt, dass sie gut und kompetent beraten werden, dass die Mitarbeiter gerne arbeiten, dann kommen sie auch gerne zu uns.

Sie sprechen sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus, tut es nicht auch eines mit Bedingungen und wir nennen es z. B.„Hartz IV“?

Nein. Hartz IV tritt die Würde der Betroffenen mit Füßen. Es ist mir völlig rätselhaft, warum wir so etwas zulassen. Unsere Sozialgesetze sind doch eigentlich dafür geschaffen, dass niemand um seine Existenz bangen muss. Fragen sie mal einen Hartz IV-Betroffenen, ob das zutrifft. Das bedingungslose Grundeinkommen ist das Gegenteil davon. Da geht es um Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit.

Wo ist der Unterschied und wie stellen Sie sich das Grundeinkommen vor?

Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein echtes soziales Netz, das jeden Menschen absichert, auch wenn es mal nicht so läuft, wie man es sich vorstellt. Es nimmt den Menschen die Existenzangst. Konkret bedeutet es, dass jeder von der Gemeinschaft, also dem Staat, jeden Monat aufs Neue einen Geldbetrag bekommt, sodass er bescheiden, aber menschenwürdig i.S. d. Art. 1 unseres Grundgesetzes leben kann. Ohne Zwang zur Arbeit, aber mit dem Auftrag, sich mit seinen Talenten und Fähigkeiten einzubringen und für andere tätig zu werden.

Ist es nicht besser, die Arbeitsbedingungen entsprechend den Bedürfnissen anzupassen und bspw. mehr Flexibilität zu bieten?

Es braucht Rahmenbedingungen, sodass jeder erkennen kann, ob er der Zweck ist, oder nur das Mittel. Für mich steht fest, dass der Mensch immer der Zweck ist. Die Arbeit ist das Mittel, damit wir uns weiterentwickeln können. Und die können wir immer nur ermöglichen. Wie wollte man denn z. B.einen Polizisten oder einen Bundestagsabgeordneten bezahlen? Wir brauchen immer zuerst einmal ein Einkommen, damit wir es uns leisten können, für andere tätig zu werden.

Wie sinnvoll ist es, in Zeiten des Fachkräftemangels Anreize zu schaffen, weniger oder gar nicht zu arbeiten?

Anreize sind der falsche Weg. Es geht um die Frage nach dem Warum und Wozu. Als Unternehmer müssen Sie zuerst einmal den Menschen, die mit ihnen arbeiten sollen, gute Gründe und Ziele nennen. Denn wenn das bei den Kollegen schon nicht funktioniert, wie sollte es bei den Kunden und Partnern klappen?

Als Unternehmer müssten Sie ja vor allem auch die Interessen der Arbeitgeber im Blick haben.

Arbeitgeber sind immer die Kunden, also die Menschen, für die wir tätig werden. Dabei geht es nicht nur um die Kunden, die einkaufen, sondern besonders um die Kollegen. Mein Mitarbeiter ist mein bester Kunde. Und das betrifft auch unsere Lieferanten, Hersteller und Banken. Alle drei müssen sagen, jawohl, bei diesem Unternehmen steige ich ein, da mache ich mit, da kaufe ich ein. Dann haben sie auch Erfolg.

Lassen Sie uns noch einmal zum Grundeinkommen zurückkehren. Eine Frage drängt sich hier natürlich sofort auf: Wer macht die unbeliebten Jobs, wenn keiner mehr Arbeiten „muss“?

Da gibt es immer nur drei Möglichkeiten: Erstens, wir automatisieren – da sind wir in den letzten Jahrzehnten sehr weit gekommen. Zweitens, Sie machen es selbst. Drittens, Wertschätzung. Sie wertschätzen die Arbeit eines anderen so, dass er erkennt, hier werde ich gebraucht, da bringe ich mich gerne ein.

Wie würde sich der Arbeitsmarkt verändern?

Profitieren Sie vom Expertenwissen renommierter Fachanwält:innen, die Sie über aktuelle Entscheidungen des Arbeitsrechts informieren. Es werden Konsequenzen für die Praxis benannt und Handlungsempfehlungen ausgesprochen.

Wir kämen vom Sollen zum Wollen. Jean-Jaques Rousseau hat das mal auf denPunkt gebracht, als er sagte: „Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will.“

Und wer bezahlt die schöne Utopie?

Bezahlt ist das ganze schon. Denn wir leben ja nicht vom Geld, sondern von den Gütern und Dienstleistungen, die wir produzieren. Und hier kann niemand sagen, dass wir zu wenig haben. Die Frage ist also, wie organisieren wir unsere Geldströme so, dass jeder eine Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand hat, um teilnehmen zu können.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (seinerseits erklärter Gegner eines bedingungslosen Grundeinkommens) ist bereit, Gespräche über eine solidarische Variante zu führen. Was erwarten Sie sich davon?

Ich bin gerne bereit, unserem Arbeitsminister die Vorteile der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens zu erläutern. Aber jedes Mal, wenn der Begriff solidarisches Grundeinkommen auftaucht, muss ich erschaudern. Das ist doch das alte Prinzip der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, das nun unter falscher Begrifflichkeit wieder aufgewärmt werden soll.

Geben Sie uns noch einen Tipp mit auf den Weg: Wie gelingt es Arbeitgebern, qualifizierte Kandidaten anzusprechen und vor allem langfristig zu halten?

Indem sie sich von Anreizsystemen verabschieden. Schaffen Sie Rahmenbedingungen in ihrem Unternehmen, sodass die Menschen ihre Biografie gestalten können. Wenn die Menschen erkennen, dass sie ihre Lebenszeit – und nichts anderes ist Arbeitszeit – sinnvoll nutzen, dann bringen sie sich auch gerne ein. Wenn Menschen in ihrer Arbeit über sich selbst hinauswachsen können, macht sie das glücklich. Wenn man etwa sagen kann: Heute habe ich etwas geschafft, das habe ich mir bisher nicht zugetraut.

Herr Werner, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Andreas Krabel.

Andreas Krabel

Andreas Krabel
Chefredakteur
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· Artikel im Heft ·

„Es nimmt den Menschen die Existenzangst“
Seite 412 bis 413
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