Fristlose Kündigung wegen genesungswidrigen Verhaltens – Auflösungsantrag des Arbeitnehmers

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 Bild: Ivan Kmit/stock.adobe.com
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Ein 56-jähriger Betontechnologe war seit 30 Jahren bei einem Baubetrieb beschäftigt. Er verdiente ein Monatsentgelt i. H. v. durchschnittlich 3.620 Euro und ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Seit dem 1.11.2020 war er durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Am 28.9. und 29.9.2021 ließ der Arbeitgeber den Kläger bei Tätigkeiten auf seinem Hausgrundstück beobachten und durch ein Loch in der Hecke mit einer Kamera aufzeichnen. Nach dem Bericht der Detektei hatte der Kläger handwerkliche Tätigkeiten ausgeführt und längere Zeit mit einem Zweitaktstampfer gearbeitet, Gegenstände getragen und Schaufelarbeiten durchgeführt. Nach Zustimmung des Integrationsamts zur außerordentlichen Kündigung sprach das Unternehmen die fristlose Kündigung aus. Dagegen wandte sich der Mitarbeiter gerichtlich. Er bestritt, dass die behaupteten Beobachtungen gemacht werden konnten. Er sei im Juli 2021 an der rechten Schulter operiert worden. Er habe keine Pflasterarbeiten ausgeführt. Vielmehr habe sein Schwiegersohn auf dem Grundstück eine Gartenmauer aus Beton gegossen und er habe ihm lediglich mit kleinen Handlangertätigkeiten geholfen. Er habe etwa 20 Minuten den Zweitaktstampfer bedient. Demgegenüber sei bei der Beklagten eine Tätigkeit geschuldet, die über acht Stunden hinweg zu verrichten sei und zu 65–70 % in schwerer körperlicher Arbeit bestehe. Er habe daher keine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht und sich auch nicht genesungswidrig verhalten.

Das ArbG Bamberg stellte in erster Instanz die Unwirksamkeit der Kündigung fest, und zwar – unter Offenlassung weiterer Rechtsfragen – deswegen, weil es eine Abmahnung für erforderlich hielt. Selbst wenn der Kläger durch seine Freizeitaktivitäten die Rücksichtnahmepflichten verletzt habe, weil sich seine Genesung dadurch verzögern könnte, wiege der Vorfall nicht so schwer, als dass eine weitere Zusammenarbeit undenkbar ist. Aufgrund des erstinstanzlichen Weiterbeschäftigungstitels nahm der Kläger ab dem 26.9.2022 seine Arbeit wieder auf. Er wurde allerdings vom Geschäftsführer in ein anderes Werk versetzt und dieser ließ ihn merken, dass er das Vertrauen in ihn verloren habe. Er wurde nur noch mit Büroarbeiten betraut.

In der zweiten Instanz (LAG Nürnberg, Urt. v. 29.11.2022 – 1Sa250/22) beantragte der Kläger die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung, mindestens jedoch 60.000 Euro. Das LAG Nürnberg schloss sich den Ausführungen der ersten Instanz hinsichtlich der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung an, löste das Arbeitsverhältnis jedoch auf Antrag des Klägers auf. Es stellte zunächst fest, dass die durch die Detektei erhobenen Daten und Beobachtungen nicht verwertbar sind. Ein Arbeitgeber darf keine heimliche Überwachung im Privatbereich veranlassen, es sei denn, es würde ein durch Tatsachen begründeter Verdacht einer Straftat oder schwerwiegenden Pflichtverletzung vorliegen. Andernfalls stellt die Überwachung eines Mitarbeiters auf dem Privatgrundstück eine unverhältnismäßige Erhebung von Daten dar.

Unabhängig davon stand jedoch eine erhebliche Pflichtverletzung des Klägers fest, und zwar aufgrund seiner eigenen Einlassungen. Es verstehe sich von selbst, dass man mit einer Schulterverletzung einen Bodenstampfer nicht bedienen soll. Im Hinblick auf den langen Bestand des Arbeitsverhältnisses und das Alter des Klägers sei jedoch eine Abmahnung das verhältnismäßige Mittel gewesen. Auf den Antrag des Klägers löste das Gericht das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist auf. Dabei wertete es nur diejenigen Umstände, die ab der Weiterbeschäftigung aufgrund des Weiterbeschäftigungstitels eingetreten waren. Unstreitig habe man dem Kläger die bisherigen Aufgaben nicht mehr zugewiesen und ihn in eine andere Niederlassung versetzt. Außerdem habe der Geschäftsführer auch im Verhandlungstermin eine feindliche Haltung an den Tag gelegt. Als Abfindungshöhe hielt das Gericht einen Betrag i. H. v. 35.000 Euro für angemessen. Denn das vom Kläger zugegebene genesungswidrige Verhalten müsse sich in der Höhe der Abfindung widerspiegeln.

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Fristlose Kündigung wegen genesungswidrigen Verhaltens – Auflösungsantrag des Arbeitnehmers
Seite 51
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