Die Parteien stritten um die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung, wobei die Arbeitgeberin aufgrund der tariflichen Regelung des § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD-VKA eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist aussprach.
Dem Sachverhalt lag zugrunde, dass der Kläger im Zeitraum Dezember 2017 bis Dezember 2020 insgesamt 57 Arbeitstage mit Lohnfortzahlung bis Dezember 2018, 40 Arbeitstage mit Lohnfortzahlung bis Dezember 2019 und 150 Arbeitstage mit Lohnfortzahlung bis Dezember 2020 arbeitsunfähig erkrankt war. Hinzu kamen im Jahr 2020 noch 30 Arbeitstage mit Arbeitsunfähigkeit ohne Lohnfortzahlung.
Der Kläger trug vor dem Arbeitsgericht zu seinen Gunsten vor, dass kein chronisches Grundleiden vorliege. Zahlreiche Erkrankungen seien ausgeheilt. Zudem halte sich die wirtschaftliche Belastung der Arbeitgeberin in Grenzen, da die entsprechenden Personalkosten über die Kreisverwaltung refinanziert werden. Die Beklagte erwiderte, dass die Menge der durchschnittlich pro Jahr vorliegenden Fehlzeiten von 77,5 Arbeitstagen nicht hinzunehmen seien. Auch das Betriebliche Eingliederungsmanagement (vgl. ausführlich zum BEM Reiß/Kumsteller, AuA 9/21, S. 18 ff.) sei erfolglos verlaufen. Aufgrund der Menge der Fehlzeiten liege eine erhebliche Störung des Arbeitsverhältnisses vor, sodass auch eine außerordentliche Kündigung in Betracht gekommen sei.
Das LAG Rheinland-Pfalz musste in seiner Entscheidung vom 7.12.2021 (6 Sa 154/21) auf den tarifvertraglich gem. § 34 Abs. 2 TVöD-VKA geregelten Sonderkündigungsschutz eingehen. Fraglich war, welchen Anforderungen eine krankheitsbedingte Kündigung unterliegt, wenn lediglich eine außerordentliche Kündigung in Betracht kommt.
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Grundsätzlich sei mit dem Begriff „wichtiger Grund“ tarifvertraglich an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB angeknüpft worden. Es müsse damit den hohen Anforderungen Rechnung getragen werden, die § 626 Abs. 1 BGB an eine außerordentliche Kündigung regelmäßig stelle. Auf der ersten Prüfungsstufe, der negativen Gesundheitsprognose, müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Bei einer außerordentlichen Kündigung müssen die prognostizierten Fehlzeiten deutlich über das normale Maß hinausgehen, welches an eine ordentliche Kündigung angelegt wird. Es bedarf eines gravierenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung.
Das LAG Rheinland-Pfalz befand, dass die Menge an Fehlzeiten kein gravierendes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung darstelle. Von einer außergewöhnlichen Belastung i. S. v. § 34 Abs. 2 TVöD-VKA könne gesprochen werden, wenn durchschnittlich an mehr als einem Drittel der jährlichen Arbeitstage Entgeltfortzahlung zu leisten sei. Dies war hier nicht der Fall. Berücksichtige man, dass der Arbeitgeber eine normale Fehlzeitenquote von vornherein einzupreisen habe, müsse entsprechend eine hohe Hürde angelegt werden. Diese sei nach überschlägiger Rechnung erst bei ca. 84 Arbeitstagen mit Entgeltfortzahlung pro Jahr erreicht.
Praxistipp: § 34 Abs. 2 TVöD-VKA enthält für den Tarifbereich West die Vorgabe, dass ab einer 15-jährigen Betriebszugehörigkeit und einem Lebensalter von mindestens 40 Jahren eine tarifliche Unkündbarkeit vorliegt. Dennoch ist eine außerordentliche Kündigung möglich, wenn eine entsprechende erhebliche Belastung des Arbeitsverhältnisses gegeben ist. Dies sollte sorgfältig geprüft werden. Zudem ist zu beachten, dass trotz außerordentlicher Kündigung die Betriebsrats- bzw. Personalratsanhörung mit der für ordentliche Kündigungen geltenden Frist vorgenommen werden muss.
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Problempunkt
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