„Ich erwarte Agilität, Flexibilität und Resilienz“

Personalentwicklung 4.0
Personalentwicklung ist mehr als nur das Halten und Suchen neuer Mitarbeiter. Worauf kommt es wirklich an und wie sehen Erfolgskonzepte in Zukunft aus? Das haben wir in einem Gespräch mit der Expertin für strategische Personalentwicklung Anke Schnitzer geklärt, die bereits Führungskraft in Bereichen wie Assignment Management und People Development im Siemens-Konzern war.
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Anke Schnitzer, Leitung CompuSafe Academy, CompuSafe Data Systems AG, München
Anke Schnitzer, Leitung CompuSafe Academy, CompuSafe Data Systems AG, München
Frau Schnitzer, warum brauchen wir Personalentwicklung und welche Veränderungen sehen Sie da auf uns zukommen? Mehr denn je ist die strategische Personalentwicklung in aller Munde. Der Wandel auf den Arbeitsmärkten, der Fachkräftemangel und die Globalisierung zwingen Unternehmen heute, sich diesen Herausforderungen und der verkürzten Halbwertszeit von Wissen in der digitalisierten Welt durch internen Ausbau von Kompetenzen und Qualifikation eigener Mitarbeiter zu stellen. War die Personalentwicklung in nicht allzu ferner Vergangenheit noch ein „nice to have“-Faktor, um soziale, fachliche oder methodische Fähigkeiten zu fördern, so ist sie heute zunehmend eine unabdingbare Methode – auch im Rahmen des Employer Brandings. Mitarbeiter zu gewinnen und langfristig zu motivieren, verringert Personalbeschaffungskosten und die Fluktuation – die gerade bei der sehr lebensflexiblen Generation Y/Generation Z einen extrem zu beachtenden Risikofaktor darstellt. Wie funktioniert Personalentwicklung in Zeiten von Arbeit 4.0 und New Work? Die Methode, strategisch Personal zu entwickeln, hat sich im Kern nie verändert. Abgeleitet von Unternehmensvision und -zielen werden Mitarbeiter fachlich und methodisch weiterqualifiziert. Auch der Ausbau persönlicher Kompetenzen muss weiterhin ein fester Bestandteil der Strategie sein. Durch die veränderten Arbeitsbedingungen im Rahmen von New Work und neuen, kreativen Denkansätzen in Projekten und in der Zusammenarbeit vergrößern sich m. E. die Möglichkeiten, Spaß und Freude (und damit die intrinsische Motivation) am lebenslangen Lernen zu fördern. Wie sehen geeignete Konzepte in Unternehmen aus? Zunehmend gewinnen die Definition von Zielgruppen und Bereitstellung von Lernmöglichkeiten und Weiterentwicklung (exakt auf den Bedarf zugeschnitten) an Bedeutung. Dies kann nur funktionieren, wenn künftig die strategische Personalentwicklung nicht nur in der Hoheit der Personalverantwortlichen liegt. Die Fachbereiche sollten fokussiert und relevante Lerninhalte attraktiv und jederzeit aktuell in der Verantwortung haben. Konzepte, wie ein klassisches Drei-Tage-Führungstraining, die evtl. noch an Karriereentwicklung gebunden sind, sind heute nicht mehr up to date. Moderne Arbeitgeber reagieren agil und individuell auf die Ansprüche des Marktes und ihrer Beschäftigten. Ein langfristiger Blended-Learning-Ansatz und Curricula, die die Menschen erfahrungsbasiert begleiten, sind heute aus dem Geschäft und aus dem Leben nicht mehr wegzudenken. Lernen muss zielführend sein, Spaß machen und jederzeit selbstgesteuert möglich sein. Wie misst man Ergebnisse und führt eine Erfolgskontrolle durch – können Sie hier Beispiele aus der Praxis nennen? Aus meiner Erfahrung sind keine Ergebnisse zu erwarten, wenn die Entwicklungsstrategie vom Unternehmen nicht klar ist (im Rahmen von Changeprojekten), wenn Mitarbeiter in Trainingsmaßnahmen „verschickt“ werden, ohne nachhaltige strategische und auch individuelle Veränderungen damit erreichen zu wollen. Was bringt z. B. ein Moderationstraining, wenn im Betrieb keine entsprechende Meetingkultur gelebt wird? Was sagt es mir, wenn ich einen meiner Teilnehmer drei Monate nach einer Trainingsmaßnahme nach seiner To-do-Liste frage und dieser mir erzählt, dass diese noch immer in der Schublade liegt. Warum die Teilnahme an einem Verhandlungstraining nach Harvard, wenn das Vorgehen nicht der internen Policy entspricht? Erfolg, messbarer ROI, ist aus meiner Sicht zu erwarten, wenn vor (!) den Maßnahmen eine firmenspezifische und daraus abgeleitet individuelle Bedarfsanalyse durchgeführt wird. Während der Maßnahmen (z. B. Curricula) sollte die Möglichkeit gegeben sein, Gelerntes in der Praxis zu erproben, Supervisionseinheiten mit Experten oder Coaches zu haben und Feedback zu erhalten. Die Steigerung der Kompetenzen wird sich auf die Geschäftskennzahlen auswirken – aber eben nur dann, wenn die Maßnahmen bei engagierten und motivierten Mitarbeitern zur Performanceveränderung beitragen. Laut TowersWatson macht der Unterschied im Margenergebnis dann durchschnittlich 9 % aus. Sollten die Maßnahmen besser im Unternehmen oder extern stattfinden? Die Organisation von Weiterbildungsmaßnahmen in den Räumlichkeiten des Unternehmens oder extern hängt vom Ziel der konkreten Maßnahme und der Motivation der Teilnehmer ab. Eine teambildende Veranstaltung sollte wohl in ungewohnter Lernatmosphäre mehr Sinn machen. Aus meiner Erfahrung jedoch ist die kostensparendere Möglichkeit, Classroom-Trainings intern zu organisieren, absolut effizient. Gibt es Möglichkeiten, Arbeitnehmer zu lebenslangem Lernen zu verpflichten und macht das überhaupt Sinn? Ganz klar: Nein, das macht keinen Sinn! In seinem Buch „Das anständige Unternehmen“ schreibt Reinhard K. Sprenger sinngemäß: „Warum behandeln wir unsere Mitarbeiter so, als würden sie bei Betreten des Unternehmens ihr Gehirn an der Garderobe abgeben?“ Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie ich daran arbeite, einen 26-jährigen High Potential erfolgreich dazu zu motivieren, Weiterbildungsmaßnahmen zu besuchen, die absolut außerhalb seines Interessensgebietes liegen. Aus meiner Arbeit mit vielen Hundert Jugendlichen auf dem Weg von der Schule ins Berufsleben habe ich mit Freude wahrgenommen: Die Zukunft der Arbeit wird davon geprägt sein, dass die Menschen nicht mehr vorrangig deshalb arbeiten, um Geld zu verdienen. Das moderne Ziel lautet, zu arbeiten, um persönliche Erfüllung zu finden (vgl. ZDE [Zweck der Existenz] der „Big Five for Live“ von John Strelecky). Welche sonstigen Bindungsinstrumente existieren für die Belegschaft? Unternehmenswachstum multipliziert sich durch fähige Mitarbeiter. Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität, die Qualität des Arbeitsklimas erhöht sich durch die Mitarbeiterbindung. Neue Talente zu akquirieren wird zunehmend schwieriger und damit teurer. Die erfolgreiche Bindung also engagierter Menschen an das Unternehmen ist ein aus meiner Sicht zunehmend in den Vordergrund rückender Erfolgsfaktor. Es gibt hier selektive Möglichkeiten (also persönlich und bedürfnisorientiert) und auch Maßnahmen, die jedem Angestellten gleichermaßen zugutekommen. Nicht von ungefähr boomt der Wettbewerb um Auszeichnungen wie „Great Place to Work“, „Top 50“ oder „Bester Ausbildungsbetrieb“ u. v. m. In meinem Erleben sind Maßnahmen am wirkungsvollsten, die authentisch sind. Hat jemand das Gefühl, auf Augenhöhe wahrgenommen, geschätzt und gefördert zu werden, dann ist das wohl die beste Auszeichnung für Bindungsinstrumente.

Ist Personalentwicklung eine Frage des Alters?

Mein Vater wurde dieses Jahr im August kraftvolle 90 Jahre alt. Sein Motto: Gehirntraining ist ebenso wichtig wie körperliche Fitness. Seit Jahren in Rente löst er jeden Tag Sudokus, schlägt jeden zweiten Schachcomputer und lernt „jeden Tag ein Gedicht“. Er beteiligt sich, soweit möglich, an politischen Debatten und durchstöbert vorher Meinungsportale im Internet.

„Schuster, bleib bei deinen Leisten“ – ist vorbei! Wir verlangen von Unternehmen Agilität und Veränderungsbereitschaft. Von jedem „Mitarbeiter 4.0“ würde ich als Unternehmensleiter Agilität, Flexibilität und Resilienz erwarten – nur mit diesen Qualitäten in meiner Belegschaft werde ich mein Unternehmensziel auch künftig erreichen.

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Frau Schnitzer, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Andreas Krabel.

Redaktion (allg.)

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· Artikel im Heft ·

„Ich erwarte Agilität, Flexibilität und Resilienz“
Seite 592 bis 593
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