„Insbesondere die soziale Bindung und Innovationskraft können leiden“
Die Bedeutung flexibler Arbeitsbedingungen – vor allem hinsichtlich des Arbeitsortes – hat spätestens seit der Corona-Pandemie stark zugenommen. Doch führen Workation und „digitale Nomaden“ wirklich zu mehr Flexibilität oder schlicht zu arbeitsrechtlichem Chaos? Wir blicken auf die rechtlichen Herausforderungen mobiler Arbeit im In- und Ausland. Telearbeit, Homeoffice, mobiles Arbeiten… Lassen Sie uns erst einmal die Begriffe und ihre Rechtsgrundlagen klären.
Franzmann: Gerne, ich übernehme Telearbeit und Homeoffice, Kollege Lelley wird sich zum mobilen Arbeiten verhalten.
Telearbeit ist der aus § 2Abs. 7 ArbStättV herrührende Gesetzesbegriff für Homeoffice. Wenn wir von Homeoffice sprechen, meinen wir Telearbeit. Danach richtet der Arbeitgeber nach entsprechender Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer auf seine Kosten einen Arbeitsplatz zu Hause bei dem Arbeitnehmer ein. Der Arbeitgeber bleibt hierfür in der arbeitsschutzrechtlichen Verantwortung und hat dieser etwa durch regelmäßige Begehungen nachzukommen. Der Arbeitgeber trägt die Kosten, angefangen von der Einrichtung des Arbeitsplatzes (Mobiliar, Technik…) bis zu seiner Unterhaltung.
Lelley: Herr Franzmann hat die Telearbeit als gesetzlich definierte Form des Homeoffice korrekt beschrieben. Für Arbeitgeber sind die damit verbundenen Pflichten – insbesondere im Arbeitsschutz – aufwendig. Mobiles Arbeiten hingegen ist gesetzlich nicht definiert und eröffnet mehr Flexibilität. Doch gerade deshalb ist eine vertragliche Regelung unerlässlich: etwa zur Erreichbarkeit, Arbeitszeiterfassung – siehe nur die inzwischen berühmte, manche sagen ja sogar berüchtigte, Stechuhrentscheidung des BAG vom 13.9.2022 – aber auch zu Datenschutz und IT-Sicherheit.
Wer entscheidet denn nun, wo sich der jeweilige Arbeitsplatz befindet?
Franzmann: Zunächst einmal die jeweiligen Arbeitsvertragsparteien. Sofern keine Regelungen im Arbeitsvertrag getroffen wurden, weist die Grundnorm des Arbeitsrechts – § 106 GewO – den Weg: Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese nicht durch den Arbeitsvertrag, eine Betriebsvereinbarung, einen Tarifvertrag oder ein Gesetz festgelegt sind. Nach Corona neu hinzugekommen ist § 87 Abs. 1Nr. 14 BetrVG, wonach Betriebsräte bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit mitzubestimmen haben. Umfang und Grenzen dieses Mitbestimmungstatbestands sind – wie so oft bei gesetzlichen Neuerungen, noch nicht in Gänze ausdiskutiert.
Lelley: Grundsätzlich entscheidet der Arbeitgeber, soweit keine abweichenden Regelungen bestehen (§ 106 GewO). Mit § 87 Abs. 1Nr. 14 BetrVG ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei mobiler Arbeit eingeführt worden. Die Rechtsprechung – etwa das LAG München vom 10.8.2023 (Mitbestimmung bei „Wie“ mobiler Arbeit) – konkretisiert dieses Recht zunehmend. Für Arbeitgeber heißt das: Gestaltungsspielräume nutzen, aber klare Regeln treffen, um arbeitsorganisatorische Standards zu sichern.
Homeoffice ist also an der jeweiligen Wohnadresse des Arbeitnehmers verortet. Wie sieht es bei mobiler Arbeit aus, ist die von überall möglich?
Franzmann: Auch hier gilt zunächst die jeweilige Regelung, sei sie getroffen im Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung. Allerdings haben diese Regelungen höherrangiges Recht zu beachten, namentlich sozialversicherungsrechtliche und steuerrechtliche Vorschriften: Wird außerhalb Deutschlands gearbeitet, wirft das Steuerrecht die Frage der Begründung einer Betriebsstätte auf und das Sozialversicherungsrecht fragt danach, wem die jeweils fälligen Beiträge gebühren.
Lelley: Innerhalb Deutschlands ist das alles meist unproblematisch. Bei Auslandsaufenthalten ist Vorsicht geboten: In der EU braucht es z. B. eine A1-Bescheinigung, außerhalb drohen steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Fallstricke. Arbeitgeber sollten mobile Arbeit im Ausland nur auf Basis klarer Richtlinien zulassen – etwa mit Länderlisten, Fristen und Genehmigungsvorbehalt.
Kommen wir nach Klärung der Rechtsgrundlagen zur Bewertung. Wie ist ihr Blick auf die neuen Arbeitsformen?
Franzmann: Ein entschiedenes sowohl als auch! Die Vorteile liegen auf der Hand, Stichworte sind Stärkung des Umweltschutzes durch geringere Verkehrsbelastung, Schaffung erheblicher zeitlicher als auch finanzieller Freiräume durch Wegfall der Wegezeiten, Kostenersparnisse durch Abvermietung von Büroflächen, Entlastung des städtischen und Aufwertung des ländlichen Raums. Sorgen mache ich mir um die Betriebsgemeinschaft, Stichworte insoweit Loyalität, kreatives Miteinander, Wissenstransfer und soziale Interaktion. Ich stelle es mir mehr als schwierig vor, neu in einem Betrieb zu sein und die Kolleg:innen nur virtuell zu kennen. Weihnachtsfeiern, auf denen man sich virtuell zuprostet, sind nicht so mein Ding.
Lelley: Die Vorteile sind unbestritten: mehr Flexibilität, Einsparpotenzial bei Büroflächen, Attraktivität im Recruiting. Aber: Ohne gute Führung und verlässliche Regeln drohen Kontroll- und Integrationsprobleme. Insbesondere die soziale Bindung und Innovationskraft können leiden, wenn die Zusammenarbeit nur noch virtuell stattfindet.
Sehen Sie Lösungsmöglichkeiten, das Gute aus beiden Welten miteinander zu verbinden?
Franzmann: Ja, ich beobachte durchweg eine Beruhigung des Marktes. War die Blickrichtung ausgehend von den Mobilitätsbeschränkungen aus der Pandemie ein großes Maß an Ortsungebundenheit, sehen viele meiner Betriebsratsmandanten mittlerweile, dass ein ausgewogenes Verhältnis von remote und vor Ort Vorteile bietet. Ich spreche hier allerdings weniger von Anordnungen denn von Überzeugungsarbeit. Will der Vorgesetzte, dass sich sein Team sieht, sollte er sich Gedanken um den Tagesablauf machen und Mittel an die Hand bekommen, mit denen er werben kann. Muss ich meinen teuren Parkplatz bezahlen und sitze ich alleine in einer trostlosen Teeküche, kann ich auch zu Hause bleiben.
Lelley: Das sehe ich ähnlich wie Herr Franzmann. Erfolgreiche Modelle kombinieren Präsenz mit mobilem Arbeiten durch klare Rahmenbedingungen. Arbeitgeber sollten Anreize für Büropräsenz schaffen – moderne Arbeitsumgebungen, Fahrtkostenzuschüsse, Teamtage. Wichtig ist, gemeinsam mit dem Betriebsrat nachvollziehbare Regeln zu etablieren, die Präsenzzeiten und mobile Phasen sinnvoll balancieren. Und, machen wir uns nichts vor, was das Homeoffice anbelangt, gibt es einen klaren Trend zurück ins Büro, oder #ReturnToOffice (RTO) wie man ja im feinsten „Denglisch“ sagt.
Wie sieht ihr Ausblick für die Zukunft aus?
Franzmann: Wir drehen das Rad nicht zurück, dafür sind die Vorteile ortsunabhängigen Arbeitens zu groß. Aus Recruiting-Prozessen weiß ich, dass mobiles Arbeiten angeboten werden muss. Wie oben angerissen bieten Betriebsvereinbarungen die Möglichkeit, das eine zu erlauben, ohne auf das andere verzichten zu müssen. Soll der Arbeitsplatz attraktiv sein und will ich die besten Köpfe für mein Unternehmen gewinnen und binden, bedarf es kluger und bedarfsgerechter Lösungen. Und hieran haben meine Mandanten regelmäßig ein hohes Interesse, nicht zuletzt deshalb, weil ihre Legitimation auf einer lebendigen Betriebsgemeinschaft beruht.
Lelley: Die digitale Arbeitswelt bleibt. Unternehmen müssen mobil-flexibles Arbeiten gestalten, aber nicht regellos dulden. Workation-Richtlinien, Vertragsanpassungen und Führungskräfte-Schulungen sind zentrale Bausteine. Wer diese neue Arbeitswelt kompetent strukturiert, wird im Wettbewerb um Talente die Nase vorn haben.
Dr. Jan Tibor Lelley

Armin Franzmann

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