Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen – fehlende negative Zukunftsprognose
Eine Lagermitarbeiterin, Jahrgang 1967, war seit dem 1.11.2015 bei einem Unternehmen beschäftigt. Ab dem 1.1.2019 erkrankte sie im Jahr 2019 an 130 Tagen, im Jahr 2020 an 60 Tagen, im Jahr 2021 an 164 Tagen, seit dem 6.7.2021 bis zum 4.2.2022 war sie durchgehend erkrankt. Das Unternehmen leistete im Jahr 2019 Entgeltfortzahlung für 69 Tage, im Jahr 2020 für 38 Tage und im Jahr 2021 für 56 Tage. In der Zeit erlitt die Mitarbeiterin am 14.5.2019 sowie am 14.4.2020 jeweils – nicht beruflich veranlasste – Unfälle. Im Jahr 2019 zog sie sich einen Meniskusriss und eine Fraktur des Schienbeins zu, in deren Folge sie 91 Tage sowie im Anschluss nochmals aufgrund einer Entzündung der linken Achillessehne elf Tage ausfiel. Im Jahr 2020 verletzte sie sich das rechte Knie, was zu einer Arbeitsunfähigkeit von 50 Tagen führte. Die Ärzte schlugen am 3.1.2022 eine stufenweise Wiedereingliederung von zunächst vier Stunden täglich und sodann sechs Stunden täglich vor. Noch während der Wiedereingliederung leitete das Unternehmen die ordentliche krankheitsbedingte Kündigung in die Wege.
Die dagegen erhobene Klage der Mitarbeiterin war erfolgreich. Das LAG Köln prüft die Kündigung in Anwendung der Rechtsprechung des BAG in drei Stufen. Zunächst muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass eine negative Gesundheitsprognose besteht. Sodann müssen erhebliche Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen entstanden sein, die sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen können. In einer dritten Stufe ist eine umfassende Interessenabwägung geboten. Hier fehlte es nach Auffassung des Gerichts bereits an der negativen Zukunftsprognose. Unstreitig feststehende Fehlzeiten der letzten drei Jahre und ihre Dauer können maßgebende Anhaltspunkte für die Besorgnis künftiger Erkrankungen sein. Jedoch kann bestimmten Ursachen bereits aufgrund ihrer Eigenart die Eignung für eine auf sie aufbauende Gesundheitsprognose abgesprochen werden. Hierunter fallen alle Erkrankungen, denen ihrer Natur nach oder aufgrund ihrer Entstehung keine Aussagekraft für eine Wiederholungsgefahr beizumessen ist. Dazu gehören in erster Linie Unfälle.
Hier hatte die Klägerin unstreitig in den Jahren 2019 und 2020 jeweils einen Unfall. Zieht man die Krankheitstage infolge dieser Unfälle von den gesamten Fehlzeiten ab, verbleiben für das Jahr 2019 noch 28 Tage, die möglicherweise für die Frage der Indizwirkung herangezogen werden können. Für das Jahr 2020 verbleiben noch zehn Tage. In beiden Jahren liegen die kündigungsrechtlich relevanten Fehlzeiten also deutlich unter sechs Wochen. Damit ist der Arbeitgeber seiner Beweislast für eine negative Prognose in der Zukunft nicht nachgekommen (LAG Köln, Urt. v. 28.3.2023 – 4Sa659/22).
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