Kündigung wegen quantitativer Minderleistung

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 Bild: StockerThings/stock.adobe.com
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Im Betrieb eines Großhandelslagers im Bereich der Lebensmittellogistik gab es eine Betriebsvereinbarung „Prämienentlohnung Kommissionierung“ („BV Prämie“), die die Zahlung einer Leistungsprämie, die sich auf eine Mengenleistung der Kommissionierer bezieht, regelte. Darin ist eine Basisleistung festgelegt, die mit dem Grundlohn vergütet wird. Sie wird in Verpackungseinheiten („Kolli“) pro Stunde bemessen. Bei entsprechender Überschreitung der Basisleistung kommt eine Leistungsprämie zur Auszahlung. Die Kommissionieraufträge werden ausschließlich systemtechnisch vergeben. Eine gezielte Vergabe von Aufträgen an einzelne Mitarbeiter ist nur in Ausnahmefällen zulässig. Die Leistungen sämtlicher rund 150 Kommissionierer wird im Warenwirtschaftssystem dokumentiert.

Ein 50 Jahre alter Kommissionierer wechselte im Jahr 2018 vom Frischwarenlager in das Lager für das Trockensortiment. Seit diesem Wechsel erreichte er in keinem Monat mehr die Basisleistung an Kommissionsaufträgen. Seit Januar 2020 wird in der Kommissionierung statt der Befehlseingabe in einen Bordcomputer ein sog. „Pick-by-Voice-System“ eingesetzt, bestehend aus einem Walkman und einem Headset. Dieses System wird durch Sprachbefehle gesteuert. Der Kommissionierer sprach gut Deutsch mit einem türkischen Akzent. Im Januar 2020 erteilte das Unternehmen dem Kommissionierer eine Abmahnung wegen bewusster Zurückhaltung seiner ihm zur Verfügung stehenden Arbeitskraft und warf ihm vor, im Dezember 2019 eine Leistung erbracht zu haben, die einer Basisleistung von 72,86 % entsprach bei einer Leistung von 116,1 % der Basisleistung der vergleichbaren Mitarbeitergruppe. Im März 2020 erhielt der Kommissionierer eine weitere Abmahnung wegen entsprechender Minderleistung im Monat Februar.

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Nachdem sich die Anzahl der kommissionierten Aufträge dennoch nicht verbesserte, sprach das Unternehmen eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung aus. Es legte anhand der Auswertungen aus dem Warenwirtschaftssystem dar, dass bezogen auf das ganze Jahr vor Ausspruch der Kündigung die Leistungen des Klägers nur etwa die Hälfte der Durchschnittsleistung der Vergleichsgruppe entsprachen. Der Kläger berief sich darauf, dass er nur Aufträge erhalte, die mit hohem Aufwand abzuarbeiten seien, weil sie viele Warengruppen betreffen, die aus teilweise weit auseinanderliegenden Regalen zu besorgen sind. Durch seinen türkischen Akzent komme es außerdem regelmäßig zu Problemen mit dem Sprachsystem. Der Arbeitgeber versuche, seine „teureren Arbeitnehmer“ mit aufwendigen Aufträgen einzudecken, um diese über den Anschein von Minderleistung schließlich kündigen zu können.

Die Kündigungsschutzklage hatte in beiden Instanzen keinen Erfolg (LAG Köln, Urt. v. 3.5.2022 – 4Sa548/21, rk.). Auf Pflichtverletzungen beruhende Schlechtleistungen sind geeignet, eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Die Menge und Qualität der Arbeitsergebnisse richten sich nach dem persönlichen, subjektiven Leistungsvermögen des Arbeitnehmers. Dieser muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann. Er muss seine persönliche Leistungsfähigkeit angemessen ausschöpfen. Andererseits ist das deutliche und längerfristige Unterschreiten des von vergleichbaren Arbeitnehmern erreichbaren Mittelwerts oft der einzige Hinweis darauf, dass ein Mitarbeiter seine Reserven nicht ausschöpft. Bei quantitativen Minderleistungen ist das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung bei einer langfristigen Unterschreitung der Durchschnittsleistung um deutlich mehr als ein Drittel gestört. Das Gericht sah die Auswertungen des Warenwirtschaftssystems als Beweis dafür als ausreichend an, da die BV Prämie regelt, dass Kommissionieraufträge systemtechnisch vergeben werden. Die Behauptungen des Klägers dazu, dass „gute Aufträge“ an andere Kollegen manuell vergeben würden, waren so pauschal, dass sich eine Beweiserhebung dazu erübrigte. Selbiges galt hinsichtlich der Berufung auf die Schwierigkeiten mit dem Pick-by-Voice-System.

Dr. Claudia Rid

Dr. Claudia Rid
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, CMS Hasche Sigle, München
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Kündigung wegen quantitativer Minderleistung
Seite 53
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