Nach der (BR-)Wahl ist vor der Wahl

Anfechtung, Nichtigkeit und einstweiliger Rechtsschutz
Gut anderthalb Jahre sind nun verstrichen, seit die deutschen Unternehmen ihre neuen Arbeitnehmervertretungen gewählt haben. Die Betriebsratswahlen 2018 haben wieder aufgezeigt, wie fehleranfällig das Wahlverfahren aufgrund seiner Komplexität nach wie vor ist und wie wichtig deshalb – im Hinblick auf die kommenden regelmäßigen Wahlen im Jahr 2022 – frühzeitige Vorbereitungen des Arbeitgebers und des Wahlvorstands sind.
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 Bild: Ulrike Leone/pixabay.com
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1 Allgemeines

Die Betriebsratswahlen finden nach § 13 Abs. 1 BetrVG turnusgemäß alle vier Jahre zwischen dem 1. März und dem 31. Mai statt. Ihnen kommt eine herausragende Bedeutung in Bezug auf die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Deutschland zu. Sie sind Verkörperung und Ausprägung des im Grundgesetz verankerten Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips in privaten Unternehmen und legitimieren die deutschen Arbeitnehmervertretungen i. S. d. BetrVG.

Im Zeitraum zwischen Bestellung des Wahlvorstands nach §§ 16, 14a BetrVG und Stimmauszählung sowie Bekanntgabe des Wahlergebnisses nach § 13 Wahlordnung (WO) treten oftmals Unstimmigkeiten über die Korrektheit des Wahlverfahrens auf. So können die Wahlbeteiligten häufig nicht differenzieren, ob die Wahl fehlerfrei abgelaufen, lediglich anfechtbar oder gar nichtig ist. Gelingt dies im konkreten Einzelfall, stellt sich weiterhin die Frage, welche Rechtsfolgen ausgelöst werden und wie möglicherweise einstweiliger Rechtsschutz vor den Arbeitsgerichten erlangt werden kann. Auch hier steht der potenzielle Antragsteller vor mehreren Möglichkeiten. Von Seiten des Arbeitgebers besteht ein gewichtiges Interesse am fehlerfreien Ablauf der Wahl, da das BAG mit seinem Beschluss vom 27.7.2011 (7 ABR 61/10) dessen Mittel, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes korrigierend in das laufende Wahlverfahren einzuschreiten, eingeschränkt hat und er dadurch Kostenrisiken ausgesetzt ist.

2 Wahlanfechtung

Die gesetzlichen Vorschriften zur Anfechtung von Betriebsratswahlen sind in § 19 BetrVG geregelt, vgl. zum Thema auch Weller/Menke, AuA 9/17, S. 512 ff. Ein Rückgriff auf diese ist erforderlich, wenn die Möglichkeiten des präventiven und einstweiligen Rechtsschutzes zur Verhinderung einer fehlerhaften Wahl nicht genutzt worden sind. Diese Vorschriften sind gem. § 63 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ebenfalls auf die Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung und nach § 177 Abs. 6 Satz 2 SGB IX auf die Wahl der Schwerbehindertenvertretung anwendbar. Für die Anfechtung der Wahl des Seebetriebsrats und der Bordvertretung gelten die Sonderregelungen der §§ 116 Abs. 2 Nr. 8, 115 Abs. 2 Nr. 9 BetrVG.

Der Gesetzgeber hat in § 19 Abs. 1 Satz 1 BetrVG drei Tatbestände formuliert, aus denen eine Rechtsverletzung und damit einhergehende Wahlanfechtung erfolgen kann: wesentliche Verstöße gegen das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren. Ein Verstoß ist dann wesentlich, wenn zwingende Vorschriften und damit eingehende tragende Prinzipien der Wahl missachtet wurden. Solche Vorschriften werden auch als „Mussvorschriften“ bezeichnet. Bloße Ordnungsvorschriften oder Sollbestimmungen rechtfertigen die Anfechtung der Wahl grundsätzlich nicht, außer es werden elementare Grundprinzipien der Betriebsratswahl verletzt.

Das aktive Wahlrecht findet seine Regelung in § 7 BetrVG. Hier liegt vor allem ein Verstoß vor, wenn Nichtwahlberechtigte zur Wahl zugelassen werden. Dazu gehören nach § 7 Satz 1 BetrVG insbesondere jugendliche Arbeitnehmer unter 18 Jahren sowie leitende Angestellte. Seit der Reform des BetrVG sind auch Leiharbeitnehmer gem. § 7 Satz 2 BetrVG zur Wahl berechtigt, wenn diese länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt werden.

PRAXISTIPP

In Unternehmen mit einer hohen Fluktuationsrate von Leiharbeitnehmern sollte vor den Wahlen genau auf deren Einstellungsdatum geachtet werden, um eine spätere Anfechtung wegen der Verletzung des aktiven Wahlrechts zu vermeiden.

Die Wahlberechtigung wird jedoch auch mittelbar tangiert, wenn eine fehlerhafte Abgrenzung zwischen Arbeitnehmern und leitenden Angestellten i. S. d. § 5 Abs. 3 BetrVG vorgenommen wird oder Betriebsteile falsch zugeordnet werden, § 4 BetrVG.

Weitere Beispiele für Mängel bezüglich der Wahlberechtigung sind

  • die Verkennung des Betriebsbegriffs gem. §§ 1, 4 BetrVG, die gleichzeitig auch einen Verstoß gegen die Wählbarkeit und das Wahlverfahren darstellt (ArbG Stuttgart, Beschl. v. 25.4.2019 – 21 BV 62/18),
  • das nicht rechtzeitige Absenden von Briefwahlunterlagen durch den Wahlvorstand nach § 24 Abs. 2 WO, weil am Wahltag von der Abwesenheit wahlberechtigter Arbeitnehmer wegen der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses auszugehen ist (LAG Hamm, Beschl. v. 12.3.2019 – 7 TaBV 49/18),
  • die Nichtzulassung wahlberechtigter Arbeitnehmer, bspw. von Teilzeitkräften (BAG, Beschl. v. 29.1.1992 – 7 ABR 27/91),
  • die Berichtigung der Wählerliste nach Ablauf der Einspruchsfrist ohne das Vorliegen der in § 4 Abs. 3 WO genannten Voraussetzungen, wenn diese potenziell ursächlich für das Wahlergebnis war (BAG, Beschl. v. 27.1.1993 – 7 ABR 37/92).

3 Wählbarkeit

Die Wählbarkeit – auch passives Wahlrecht genannt – ist in § 8 BetrVG geregelt. Demnach sind alle Wahlberechtigten wählbar, die sechs Monate dem Betrieb angehören oder als in Heimarbeit Beschäftigte in der Hauptsache für den Betrieb gearbeitet haben. Leiharbeitnehmer hingegen sind nach § 14 Abs. 2 Satz 1 AÜG im Entleiherbetrieb nicht wählbar.

Grundsätzlich lässt sich formulieren, dass ein wesentlicher Verstoß i. S. d. § 19 BetrVG vorliegt, wenn einem wählbaren Bewerber die Wählbarkeit aberkannt oder einem nicht wählbaren die Wählbarkeit zuerkannt wird.

Weitere durch die Rechtsprechung festgestellte Verstöße sind:

  • der Ausschluss eines gekündigten Beschäftigten, der Kündigungsschutzklage erhoben hat. Die Wählbarkeit bleibt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Prozesses bestehen, auch wenn der Mitarbeiter nicht weiterbeschäftigt wird (BAG, Beschl v. 10.11.2004 – 7 ABR 12/04, AuA 9/05, S. 564).
  • die Wahl von nicht wählbaren Arbeitnehmern, die zwar formalrechtlich in arbeitsvertraglichen Beziehungen zum Betrieb stehen, tatsächlich aber ausschließlich in einem anderen arbeiten (BAG, Beschl. v. 28.11.1977 – 1 ABR 40/76).

4 Wahlverfahren

Letztlich können noch wesentliche Verstöße gegen das Wahlverfahren als dritte Tatbestandsvariante die Anfechtbarkeit der Wahl begründen, § 19 Abs. 1 Var. 3 i. V. m. §§ 9–18, 20 Abs. 1, 2 BetrVG, §§ 1 ff. WO. Die Anzahl der anerkannten Fälle von wesentlichen Verfahrensfehlern ist vielfältig und nicht abschließend, sondern stets am konkreten Einzelfall auszumachen. Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit wesentliche Verfahrensfehler angenommen bei:

  • der nicht rechtzeitigen öffentlichen Bekanntmachung der öffentlichen Sitzung des Wahlvorstands gem. § 26 Abs. 1 WO (LAG Hessen, Beschl. v. 24.9.2018 – 16 TaBV 50/18),

    PRAXISTIPP

    Der Wahlvorstand ist verpflichtet, neben Ort und Gegenstand auch den konkreten Zeitpunkt seiner Sitzung rechtzeitig öffentlich bekannt zu machen. Dabei kommt ihm grundsätzlich eine Einschätzungsprärogative zu, solange der Öffentlichkeitsgrundsatz gewahrt bleibt. Dies gilt auch für das Verfahren der schriftlichen Stimmabgabe bei Betriebsratswahlen.

  • einem Beschluss des Wahlvorstands über die schriftliche Stimmenabgabe nach § 24 Abs. 3 WO, obwohl es sich bei den betroffenen Arbeitsbereichen nicht um Kleinstbetriebe oder Betriebsteile handelt (ArbG Krefeld, Beschl. v. 1.8.2018 – 3 BV 8/18),
  • der Durchführung einer Onlinewahl – das BetrVG und die WO sehen nämlich kein elektronisches Wahlverfahren für die Betriebsratswahl vor – (LAG Hamburg, Beschl. v. 15.2.2018 – 8 TaBV 5/17),
  • der Nichtberücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Berechnung der Belegschaftsstärke entgegen § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG (BAG, Beschl. v. 2.8.2017 – 7 ABR 51/15),
  • der Hinzurechnung von Beschäftigten in die Belegschaftsstärke i. S. d. § 9 BetrVG, die sich in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befinden (BAG, Beschl. v. 16.4.2003 – 7 ABR 53/02),
  • einer entgegen § 13 WO nicht öffentlich abgehaltenen Stimmauszählung (LAG Köln, Beschl. v. 11.4.2003 – 4 [13] TaBV 63/02),
  • Nutzung des vereinfachten Wahlverfahrens nach § 14a BetrVG, obwohl eigentlich die Regelwahl nach § 14 BetrVG die korrekte Verfahrensart ist (BAG, Beschl. v. 19.11.2003 – 7 ABR 24/03, AuA 6/04, S. 44),
  • der entgegen § 5 WO fehlerhaften Ermittlung der Zahl der Mindestsitze für das Minderheitsgeschlecht (BAG, Beschl. v. 10.3.2004 – 7 ABR 49/03),
  • einer nicht ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Wahlvorstands (BAG, Beschl. v. 3.6.1975 – 1 ABR 98/74),
  • der Wahl des Wahlvorstands auf einer Betriebsversammlung, obwohl er vom Betriebsrat, dessen Amtszeit endet, hätte bestellt werden müssen (BAG, Beschl. v. 21.7.2004 – 7 ABR 57/03).

5 Form und Frist

Aus § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ergibt sich, dass mindestens drei Wahlberechtigte i. S. d. § 7 BetrVG anfechtungsberechtigt sind, wozu nach § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG i. V. m. § 7 Satz 2 BetrVG Leiharbeitnehmer gehören. Auch eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder der Arbeitgeber können die Wahl anfechten. Scheiden einzelne anfechtende Mitarbeiter während des laufenden Beschlussverfahrens aus dem Arbeitsverhältnis aus, bleibt dies unschädlich für den Ausgang des Verfahrens. Sind jedoch alle anfechtenden Beschäftigten ausgeschieden, mangelt es am Rechtsschutzbedürfnis.

Für die Anfechtung gilt eine zweiwöchige Frist nach § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Erfolgt während dieser Periode keine Anfechtung, bleibt der fehlerhaft gewählte Betriebsrat für die gesetzlich anberaumte Amtszeit bestehen, auch wenn bspw. mehrere Betriebe unzulässigerweise in seinen Zuständigkeitsbereich fallen. Fristbeginn ist der Tag nach Bekanntmachung des Wahlergebnisses, § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG, § 18 WO i. V. m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB.

PRAXISTIPP

Der Wahlvorstand muss die Namen der gewählten Betriebsratsmitglieder gem. § 18 WO aushängen, um die Frist in Gang zu setzen. Der Aushang ist gleichermaßen bekannt zu geben wie das Wahlausschreiben nach § 3 Abs. 4 WO. Anderenfalls bleibt die Wahl bis zum Ablauf der Frist anfechtbar.

Der angefochtene Verstoß muss zudem potenziell kausal für das Wahlergebnis sein. Auf eine tatsächliche Beeinflussung kommt es nicht an. Vielmehr ist entscheidend, ob der Wahlfehler nach der allgemeinen Lebenserfahrung und den konkreten Umständen des Einzelfalls geeignet ist, das Wahlergebnis zu verfälschen.

Eine verfahrensfehlerhafte Wahl muss nur dann nicht erneut durchgeführt werden, wenn sich eindeutig feststellen lässt, dass auch bei Einhaltung der Vorschriften kein anderes Resultat erzielt worden wäre. Dies zeigt den gesetzgeberischen Willen, irrelevante Verfahrensfehler „auszusieben“.

Die Anfechtung lässt sich nach Wahlbeginn im Wege der nachträglichen Berichtigung durch den Wahlvorstand vermeiden. Eine solche Berichtigung kommt jedoch nur in Betracht, wenn man den Fehler ohne Weiteres beheben kann.

Beispiel

Dies ist u. a. der Fall, wenn der Name des Gewählten versehentlich falsch geschrieben oder die Verteilung der Sitze nach Geschlechtern fehlerhaft berechnet wurde.

Die letzte Voraussetzung der Wahlanfechtung ist das Rechtsschutzbedürfnis, welches eine Zulässigkeitsvoraussetzung im Anfechtungsverfahren für eine Sachentscheidung darstellt und daher stets von Amts wegen zu prüfen ist. Das Rechtsschutzinteresse entfällt, wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung für die Beteiligten keine rechtliche Wirkung mehr entfalten kann. Dies ist der Fall, wenn die Amtszeit des gewählten Betriebsrats im Laufe des Verfahrens geendet hat.

PRAXISTIPP

Probleme können in zeitlicher Hinsicht vor allem entstehen, wenn sich das Anfechtungsverfahren über drei Instanzen erstreckt. Dauert das Verfahren länger als die in § 21 BetrVG festgelegte vierjährige Amtszeit des Betriebsrats, entfällt das Rechtsschutzbedürfnis und die Wahlanfechtung bleibt erfolglos. Daraus können vor allem Nachteile bezüglich der Kostentragung für den Arbeitgeber resultieren, der neben dem eigenen Anwalt gem. § 40 Abs. 1 BetrVG noch den Anwalt des Betriebsrats mitfinanzieren muss.

6 Nichtigkeit der Wahl

Die Nichtigkeit der Wahl hat absoluten Ausnahmecharakter und kommt nur bei Grenzfällen in Betracht. Nichtigkeit wird nach ständiger Rechtsprechung des BAG angenommen, wenn gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen worden ist, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt. Es muss mithin ein grober und offensichtlicher Verstoß gegen Wahlregeln gegeben sein. Ein grober Verstoß liegt vor, wenn die Wahl den „Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn trägt“. Bei mehreren gleichzeitigen Wahlmängeln reicht deren kumulatives Zusammenwirken nicht aus, um die Nichtigkeit der Wahl zu begründen. Vielmehr muss jeder einzelne Mangel alternativ die Nichtigkeit auslösen.

Den Ausnahmecharakter verdeutlichen Beispiele aus der Rechtsprechung:

  • Durchführung der Wahl durch einen nichtig bestellten Wahlvorstand (ArbG Düsseldorf, Beschl. v. 29.3.2018 – 7 BVGa 5/18),
  • Wahl in einer außerhalb des BetrVG liegenden karitativen Einrichtung i. S. d. § 118 Abs. 2 BetrVG (BAG, Beschl. v. 9.2.1982 – 1 ABR 36/80),
  • Wahl in einem Betrieb, der unmittelbar nach der Wahl weniger als fünf Arbeitnehmer beschäftigt und damit auch nicht mehr den Anforderungen des § 1 Abs. 1 BetrVG genügt (LAG Hessen, Beschl. v. 22.11.2005 – 4 TaBV 165/05),
  • Bildung eines Betriebsrats per Akklamation, weil dadurch sämtliche Vorschriften der Betriebsratswahl verletzt werden (BAG, Beschl. v. 12.10.1961 – 5 AZR 423/60),
  • offensichtliche Verkennung des Betriebsbegriffs, wenn entgegen einer nach § 18 Abs. 2 BetrVG ergangenen arbeitsgerichtlichen Entscheidung ein Betriebsrat gewählt wird (ArbG Frankfurt a. M., Beschl. v. 24.1.2012 – 13 BVGa 32/12); ist die Verkennung des Betriebsbegriffs nicht evident, führt sie lediglich zur Anfechtbarkeit der Wahl (BAG, Beschl. v. 3.12.1985 – 1 ABR 29/84),
  • Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats für mehrere Unternehmen nach § 3 Abs. 3 BetrVG (ArbG Hamburg, Beschl. v. 13.6.2006 – 19 BV 16/06).

7 Gerichtliche Geltendmachung und Rechtsfolgen

Das Anfechtungsverfahren erfolgt im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nach §§ 2a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 80 ff. ArbGG, in dem der Anfechtungsgegner zu erwähnen ist. Dieser ist im Regelfall der Betriebsrat, wenn die Gesamtwahl angefochten wird. Bei der Anfechtung der Wahl eines Einzelnen ist das fehlerhaft gewählte Betriebsratsmitglied Anfechtungsgegner.

Beteiligter im Verfahren ist gem. § 83 Abs. 3 ArbGG stets der Arbeitgeber, dem die ihm im ArbGG eingeräumten Anhörungsrechte zustehen. Gegenstand der Anfechtung ist grundsätzlich die Feststellung der Unwirksamkeit der Wahl bzw. der Wahl eines einzelnen Mitglieds. Bei der Geltendmachung von Fehlern bei der Feststellung des Wahlergebnisses durch den Wahlvorstand ist jedoch auch eine Teilanfechtung möglich, die darauf abzielt, das richtige Wahlergebnis feststellen zu lassen.

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Ein dem Anfechtungsantrag stattgebender Beschluss hat konstitutive Wirkung, was ihn vom Nichtigkeitsfeststellungsantrag unterscheidet, der lediglich einen deklaratorischen Effekt innehat. Die erfolgreiche Wahlanfechtung entfaltet im Gegensatz zur Nichtigkeit Wirkung ab dem Beschluss und nicht rückwirkend. Daher bleiben auch sämtliche Handlungen und Maßnahmen des Betriebsrats – bspw. Betriebsvereinbarungen – bestehen, solange diese vor Eintritt der Rechtskraft der Wahlanfechtung vorgenommen wurden. Sinn und Zweck sind die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Gremiums sowie der Vertrauensschutz in dessen vorgenommene Handlungen. Wird die Wahl eines einzelnen Mitglieds erfolgreich angefochten, endet dessen Mitgliedschaft und ein Ersatzmitglied rückt nach.

Die Nichtigkeit der Betriebsratswahl kann von jedermann zu jeder Zeit geltend gemacht werden, der ein rechtliches Interesse an der Feststellung hat. Sie kann sowohl selbstständig in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren festgestellt als auch in jedem anderen Verfahren als Vorfrage entschieden werden, z. B. bei einer Lohn- oder Kündigungsschutzklage. Die Nichtigkeitsfeststellung ist auch im Wahlanfechtungsverfahren möglich. Dabei schließt der Anfechtungs- den Nichtigkeitsfeststellungsantrag mit ein. Auf die Zweiwochenfrist der Wahlanfechtung aus § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG kann hier sinngemäß nicht abgestellt werden. Durch die Rückwirkung sind bei Nichtigkeit sämtliche Handlungen des Betriebsrats von Anfang an unwirksam und der Betrieb bleibt betriebsratslos, bis die Wahl erneut durchgeführt wird.

8 Das Statusverfahren

Bei Zweifeln über das Vorliegen einer betriebsratsfähigen Organisationseinheit können der Arbeitgeber, jeder beteiligte Betriebsrat, jeder beteiligte Wahlvorstand oder jede beteiligte im Betrieb vertretene Gewerkschaft dies im Vorfeld der Wahl im Statusverfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG gerichtlich feststellen lassen. Gleichzeitig lässt sich so klären, ob ein Nebenbetrieb oder ein Betriebsteil dem Hauptbetrieb zugeordnet werden können, ob zwei oder mehrere selbstständige Betriebe bestehen oder ob eine durch Strukturvereinbarung wirksam getroffene Betriebsratsstruktur besteht.

PRAXISTIPP

Das Statusverfahren sollte man möglichst frühzeitig einleiten, da es nur Wirksamkeit entfaltet, wenn noch während der laufenden Wahl ein rechtskräftiger Beschluss ergeht. Ist dies der Fall, ist die Wahl abzubrechen und mit den Ergebnissen des Statusverfahrens korrespondierend neu einzuleiten.

Ergeht während der Amtszeit des Betriebsrats eine rechtskräftige Entscheidung, die fehlerhafte Zuordnungen zum Inhalt hat, wirkt sich diese grundsätzlich erst auf die nächste Wahl aus. Die nicht offensichtliche Verkennung des Betriebsbegriffs oder die fehlerhafte Zuordnung von Betriebsteilen führt nämlich lediglich zur Anfechtbarkeit der Wahl, deren Zweiwochenfrist nach § 19 Abs. 2 BetrVG regelmäßig verstrichen ist. Deshalb bleibt der fehlerhaft gewählte Betriebsrat im Amt.

9 Einstweiliger Rechtsschutz

Werden bereits während des laufenden Verfahrens Mängel deutlich, die die Wahl im Nachhinein anfechtbar oder nichtig machen würden, besteht aufgrund der daraus resultierenden Eilbedürftigkeit die Möglichkeit des Erlasses einer einstweiligen Verfügung nach § 85 Abs. 2 ArbGG i. V. m. §§ 935 f. ZPO; vgl. zum gerichtlichen Rechtsschutz auch Helml, AuA 5/18, S. 280 ff.

Im Zusammenhang mit der Betriebsratswahl kommen regelmäßig zwei Konstellationen für Verfügungsverfahren gegen den Wahlvorstand in Betracht:

  • Zum einen kann unter sehr engen Voraussetzungen der Abbruch der Betriebsratswahl initiiert werden, was gleichzeitig den weitreichendsten Eingriff in das Wahlverfahren darstellt. Dieser kommt allerdings nur in Betracht, wenn die Nichtigkeit der Wahl droht. Die bloße Anfechtbarkeit genügt, wie noch vor der Entscheidung des BAG (Beschl. v. 27.7.2011 – 7 ABR 61/10) häufiger angenommen, nicht. Es entspricht nämlich dem Sinn und Zweck der Betriebsverfassung, betriebsratslose Zustände zu vermeiden.
  • Ein deutlich milderes Mittel als der Wahlabbruch ist der berechtigte Eingriff in das laufende Wahlverfahren, welcher bei der drohenden Anfechtbarkeit der Wahl das richtige Mittel ist. Ein Verfügungsgrund – die Eilbedürftigkeit – ist aufgrund der laufenden Wahl regelmäßig gegeben.

Antragssteller auf Erlass einer einstweiligen Verfügung kann jeder sein, der durch die Maßnahmen des Wahlvorstands in seinem aktiven oder passiven Wahlrecht beeinträchtigt ist sowie der Arbeitgeber, der gem. § 83 Abs. 3 ArbGG an einem Beschlussverfahren auch ohne eigenen Antrag immer beteiligt ist. Antragsgegner ist stets der Wahlvorstand.

10 Fazit

In Anbetracht der kommenden Betriebsratswahlen im Jahr 2022 tun Arbeitgeber und Wahlvorstand gut daran, sich an dem medizinischen Grundsatz „vorbeugen ist besser als heilen“ zu orientieren. Als Maßstab kann dabei vor allem die umfangreiche Rechtsprechung der vergangenen Wahlen herangezogen werden. Bestehen vor der Wahl Zweifel über das Vorliegen einer betriebsratsfähigen Organisationseinheit, kann man präventiv auf das Statusverfahren zurückgreifen.

Ist „das Kind“ nach Beginn der Wahl „in den Brunnen gefallen“, gibt es nur noch die Korrekturmöglichkeiten eines Eingriffs in das laufende Wahlverfahren oder des Wahlabbruchs im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes unter sehr engen Voraussetzungen. Hier wird schon deutlich, dass bereits im Vorfeld der Wahl tunlichst darauf zu achten ist, mögliche Fehlerquellen zu vermeiden, da man sonst u. U. bis zum Abschluss der Wahl darauf warten muss, dass sich rechtswidrige Zustände manifestieren.

Aber auch nach Ablauf der Wahl liegt es im Interesse des gesamten Betriebs, nicht der Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit ausgesetzt zu sein. Zwar bleiben nach einer erfolgreichen Wahlanfechtung sämtliche Handlungen des Betriebsrats wirksam. Allerdings muss die Wahl erneut durchgeführt werden, was mit erheblichen Kosten für den Arbeitgeber verknüpft ist, vgl. § 20 Abs. 3 BetrVG. Im schlimmsten Fall ist die Wahl nichtig, wodurch der Betrieb betriebsratlos wird und sämtliche Handlungen des fehlerhaft gewählten Gremiums nichtig sind. Das BetrVG aber zielt gerade darauf ab, betriebsratlose Zustände zu vermeiden. Eine peinlichst genaue Wahlvorbereitung erscheint mithin unentbehrlich. Denn nur so lassen sich Rechtssicherheit und Betriebsfrieden für alle Wahlbeteiligten gewährleisten.

Konstantin Kühn

Konstantin Kühn
Universität Passau
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· Artikel im Heft ·

Nach der (BR-)Wahl ist vor der Wahl
Seite 27 bis 30
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