Wie aus Spannung Bewegung wird

Zukunftsperspektiven für Organisationen schaffen

Konflikte prägen den Arbeitsalltag in Organisationen. Doch statt sie zu umgehen oder zu unterdrücken, können Führungskräfte sie als Chance zur persönlichen Entwicklung und zum Fortschritt der Organisation wertschätzen und nutzen. Annette Neumann war dazu im Gespräch mit Renate Franke und Barbara Zuber, Geschäftsführerinnen von „school of facilitating“.

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Inwiefern gehören Konflikte zum Arbeitsleben dazu?

Franke: Konflikte entstehen durch unterschiedliche Positionen und Meinungen – besonders in Organisationen im Wandel, wo Neues auf Altes trifft. Richtig verstanden, zeigen sie Anpassungsbedarf in Strategien, Strukturen oder Prozessen auf. Ob Menschen in Konflikten etwas Gutes sehen, hat vor allem mit der inneren Haltung zu tun.

Trotzdem werden Konflikte oft als emotional belastend empfunden. Wie können sie genutzt werden, dass die Beteiligten aufeinander zuzugehen?

Zuber: Die natürliche Reaktion bei einem Konflikt ist, dass man weglaufen bzw. ihn vermeiden möchte. Was dabei häufig fehlt, ist die Bereitschaft, sich in den anderen hineinzufühlen. Gelingt dies, kann ein Konflikt sogar ein Beziehungsangebot sein. Es erfordert Mut, gegen seinen Instinkt zu handeln und stattdessen mit Neugier auf den anderen zuzugehen – doch genau darin liegt die Chance, eine konstruktive Beziehung aufzubauen.

Geht es in Konflikten also darum, dass am Ende beide Seiten profitieren?

Franke: Nicht unbedingt. Es geht weniger um ein strategisches Gegengeschäft, sondern vielmehr darum, dass beide Seiten ein tieferes Interesse entwickeln, eine Beziehung zum anderen aufzunehmen und eine Lösung herbeiführen zu wollen. Ein Beispiel: Wenn ein Mitarbeiter sich wegen zu vieler Aufgaben überfordert fühlt und dies bei seiner Führungskraft offen anspricht, will er sich meist nicht vor seiner Arbeit drücken, sondern er erwartet schlicht Verständnis für seine Stresssituation. Statt Druck auf den Mitarbeitenden auszuüben – was den Stress verstärken würde – ist Mitgefühl gefragt. Es lohnt sich, sich für die Offenheit zu bedanken. Entscheidend ist dabei: Nicht vorschnell auf die Sachebene springen und nach einer schnellen Lösung suchen. Wer seinem Gegenüber aufrichtig zugewandt ist, schafft die Basis für ein langfristig tragfähiges Miteinander.

Wie lässt sich diese Haltung trainieren?

Zuber: Indem man aktiv Perspektivwechsel und Selbstreflexion übt. Systemische Fragen wie „Welchen tieferen Sinn könnte dieser Konflikt haben?“ helfen dabei, festgefahrene Denkmuster zu hinterfragen und neue Sichtweisen zu entwickeln. Auch Methoden wie das Spiegeln von Verhalten, Rollenspiele oder Improvisationstheater sind wirkungsvoll. Letzteres ermöglicht es Führungskräften, ihr Verhalten in einem geschützten Rahmen auszuprobieren und direktes Feedback aus der Übungsgruppe zu erhalten. Besonders eindrücklich kann der Kontrast sein: Eine Führungskraft, die eine Mitarbeiterin durch eine laute, direkte Ansprache verletzt – im Vergleich zu einer empathischen Führungskraft, die auf Augenhöhe kommuniziert und echte Anteilnahme zeigt. In solchen Momenten wird erfahrbar, was es bedeutet zu sagen: Ich gehe in den Konflikt, weil du es mir wert bist.

Einen Konflikt anzusprechen, fällt allerdings nicht leicht.

Franke: Deshalb trainieren wir mit Führungskräften, den inneren Dialog – das sog. Kopfkino – transparent zu machen, negative Annahmen zu hinterfragen und stattdessen genau hinzuhören. Wenn ein Mitarbeiter wiederholt zu spät kommt, muss die Führungskraft entscheiden: Spreche ich ein einmaliges Verhalten, ein Muster oder bereits eine Beziehungsstörung an? Gerade wenn einem die Person wichtig ist, zudem Arbeitsqualität und Kollegen darunter leiden, sollte man in den Konflikt einsteigen und ihn achtsam in den Raum holen. Statt Vorwürfe zu machen, helfen offene, wertschätzende Fragen wie: „Was brauchst du, um dein Verhalten zu ändern und pünktlich zu sein? Darauf sollten verbindliche Vereinbarungen folgen. Das gemeinsame Bewusstsein, ein Problem lösen zu wollen, schafft eine gute Basis, um im Konflikt aufeinander zuzugehen.

Wann ist die Führungskraft als Vermittler gefragt?

Zuber: Vor allem bei Konflikten, die auf eine gestörte Beziehung hindeuten oder bei symmetrischen Konflikten zwischen gleichgestellten Mitarbeitern. In solchen Situationen kann die externe Perspektive einer Führungskraft helfen, festgefahrene Muster zu lösen. Voraussetzung ist, dass alle Beteiligten bereit sind, die Vorwurfsebene zu verlassen und sich mit den Bedürfnissen und Motiven des Gegenübers auseinanderzusetzen. Das bedeutet auch, unterschiedliche Sichtweisen anzuerkennen und einen integrativen Blick auf die Sache zu entwickeln. Ein Beispiel: Zwei Mitarbeitende haben unterschiedliche Maßstäbe, was gute Kundenkommunikation ausmacht – ein Konflikt entsteht. Wenn beide Seiten die Perspektive des anderen zulassen, kann durch Dialog und Reflexion ein tieferes Verständnis entstehen. Eine facilitative Führungskraft stärkt genau dieses Bewusstsein für Perspektivenvielfalt und schafft so die Basis für einen konstruktiven, manchmal sogar leichten Umgang mit Konflikten. Dann wird es möglich, mit ihnen zu „tanzen“, statt ihnen auszuweichen.

In Veränderungsprozessen tun sich Mitarbeiter oft schwer damit, die Perspektive der Organisation einzunehmen. Woran liegt das?

Franke: Das stimmt. Oft gehen Mitarbeiter in den Widerstand, wenn etwas noch Unbekanntes eingeführt werden soll – sei es aus Unsicherheit, Angst vor Leistungsabfall oder weil die Strategie nicht überzeugt. Dieser Widerstand sollte nicht als etwas Negatives wahrgenommen werden, sondern als Bedenken oder Wunsch, Vertrautes zu bewahren. Die Führungskraft sollte diese Bedenken ernst nehmen und Mitarbeitende ermutigen, eine Haltung des Ausprobierens und Lernens zu entwickeln. Dabei hilft das Bewusstsein, dass sie dem Team im Veränderungsprozess meist durch mehr Wissen einen Schritt voraus ist. Veränderung braucht Einarbeitungszeit – und echtes Vertrauen. Wenn Führungskräfte das ermöglichen, bietet der Prozess Entwicklungschancen für den Einzelnen. Auch die Organisation kann sich weiterentwickeln, wenn Widerstand wertgeschätzt und dadurch etwas Neues oder sogar Besseres entstehen kann.

Welche Rahmenbedingungen fördern die Konfliktbereitschaft?

Franke: Führungskräfte und HR sollten ein Umfeld schaffen, in dem Mitarbeitende Gedanken offen äußern können – ohne Angst vor negativen Konsequenzen. Formate wie Retrospektiven bieten Raum, um über die Art der Zusammenarbeit zu sprechen. Hier können Konflikte konstruktiv angesprochen werden und Emotionen sich entladen dürfen. HR sollte den Rahmen schaffen, dass sich Mitarbeiter mit ihren Stärken einbringen können. Workshops, in denen sich Teams gegenseitig Feedback geben, stärken Vertrauen und das Miteinander – eine zentrale Voraussetzung für gesunde Konfliktkultur.

Demnach können Konflikte die Unternehmenskultur sogar stärken?

Zuber: Unter vielen Konflikten liegt ein Schatz – nämlich das darunterliegende eigentliche Thema, das es zu heben gilt. Das können ein unausgereifter Prozess oder unausgesprochene Erwartungen sein. Wenn diese tieferen Ebenen sichtbar werden, wird kreatives Potenzial frei und es entsteht Raum für neue Lösungen. Interne oder externe Facilitatoren helfen, diese Lösungsenergie zu nutzen und unterstützen Teams dabei, ihre Erfahrungen, Intuition und Kritik konstruktiv einzubringen. Konflikte bieten Zukunftspotenzial – vorausgesetzt, man versucht, sie nicht zu vermeiden, sondern sie aktiv anzugehen. Wenn Führungskräfte die Haltung fördern, dass Konflikte einen tieferen Sinn haben, kann daraus echte kulturelle Weiterentwicklung entstehen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Annette Neumann, freie Journalistin, Berlin.

Steckbrief: Facilitatoren

• sind Experten für Veränderungsprozesse mit fundierter Erfahrung in partizipativen, co-kreativen Change-Management-Ansätzen wie Facilitating, die Theorie U (Otto Scharmer), Deep Democracy (Mindell und Schupbach), Konfliktlösungsmethoden und Prozessmoderation;

• analysieren die kulturelle Ausgangslage (Ist-Zustand): Wo entstehen im Wandel Hürden, Widerstände und Polaritäten? Sie helfen, diese frühzeitig wahrzunehmen bzw. aufzuspüren und als Potenzial für das Entstehen einer neuen Kultur zu nutzen.

• gestalten Kommunikations- und Denkräume, um Neues zu reflektieren und Unausgesprochenes auszusprechen;

• leiten Führungskräfte und Mitarbeiter in Change-Prozessen an, in den Dialog zu gehen, andere Perspektiven einzunehmen, co-kreative Lösungen zu finden und schulen dabei die Wahrnehmung, Intuition, Rollenflexibilität und geben gezieltes Feedback;

• ermöglichen sichere Räume für Zuhören und Ernstnehmen und vermitteln Sicherheit, dass alles zur Sprache kommen kann, ohne Angst vor hochkochenden Emotionen;

• holen Dissenz bewusst in den Raum, um ein Thema vielschichtig zu beleuchten. Mehrperspektivigkeit hilft, eingeschränkte Denkroutinen aufzulösen, die bei neuen Situationen oft im Weg stehen;

• schulen und stärken interne Prozessbegleiter bzw. Facilitatoren oder Change-Agents, die den Wandel von innen unterstützen und vorantreiben;

• bringen viel Menschenkenntnis, eine gute Wahrnehmung, Intuition, Empathie, Kommunikationsstärke und fundiertes Wissen für Prozessdynamiken mit.

Renate Franke

Renate Franke

Barbara Zuber

Barbara Zuber
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