Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung

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In einem Betrieb mit dreiköpfigem Betriebsrat ging die Geschäftsführung auf die Arbeitnehmervertretung mit der Bitte zu, zwecks Sicherung des Standorts die bisher geltenden Betriebsvereinbarungen durch eine neue zu ersetzen. Das Management präsentierte der Belegschaft den Entwurf der neuen Betriebsvereinbarung und ließ diese abstimmen. Nach zwei Abstimmungsdurchgängen sprach sich die Mehrheit dafür aus, den Entwurf zu akzeptieren. Daraufhin unterzeichnete der Vorsitzende des Betriebsrats und der Geschäftsführer die neue Betriebsvereinbarung. Am selben Tag verfasste und veröffentlichte der Betriebsratsvorsitzende einen Aushang, wonach die neue Betriebsvereinbarung ab dem nächsten 1. Januar gilt. Dieser Aushang war von allen drei Betriebsratsmitgliedern unterzeichnet. Wie sich im Rahmen einer Beweisaufnahme ergab, hatte das Gremium jedoch zuvor keinen Beschluss gefasst. Auch die Unterschriften unter dem Aushang waren nicht im Rahmen einer gemeinsamen Sitzung zustande gekommen, sondern der Vorsitzende war von Kollege zu Kollege gelaufen, um sich die Unterschrift unter den Aushang einzuholen.

Nach einigen Monaten hatte der Betriebsrat Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung und leitete ein Beschlussverfahren vor dem ArbG Wesel ein, mit dem Antrag festzustellen, dass die Betriebsvereinbarung keine Rechtswirkung entfaltet. Das Unternehmen berief sich darauf, dass alle drei Mitglieder den Aushang unterschrieben hätten. Die Geschäftsführung habe zu keiner Zeit Zweifel an der Vertretungsmacht des Vorsitzenden gehabt und deswegen auf das wirksame Zustandekommen vertrauen dürfen.

Während das ArbG Wesel die Gültigkeit der Regelung kraft Rechtsscheinhaftung feststellte, erklärte die zweite Instanz die Betriebsvereinbarung für unwirksam (LAG Düsseldorf, Beschl. v. 27.4.2018 – 10 TaBV 64/17). In Anknüpfung an die Rechtsprechung des BAG setzt der wirksame Abschluss einer Betriebsvereinbarung einen darauf bezogenen wirksamen Beschluss des Betriebsrats als Kollegialorgan voraus. Dazu muss das Gremium beschlussfähig sein und sich auf einer Betriebsratssitzung aufgrund einer mit den Vorschriften des BetrVG in Einklang stehenden Ladung mit dem jeweiligen Sachverhalt befasst und durch Abstimmung eine einheitliche Willensbildung herbeigeführt haben. Eine Erklärung des Vorsitzenden kann durch eine spätere ordnungsgemäße Beschlussfassung genehmigt werden (BAG, Beschl. v. 9.12.2014 – 1 ABR 19/13).

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Im vorliegenden Fall stand jedoch nach durchgeführter Beweisaufnahme fest, dass eine Beschlussfassung weder vor Unterzeichnung der Vereinbarung stattgefunden hatte noch im Zuge des Aushangs nachgeholt worden war. Auch wenn in der Literatur angenommen wird, dass eine nicht von der Vertretungsmacht gedeckte Erklärung des Vorsitzenden nach den Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung Bindung entfalten könne, rechtfertigt dies nicht die Konsequenz, dass eine Betriebsvereinbarung für alle Zukunft als wirksam angesehen werden kann und damit unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse einwirkt. Der Arbeitgeber ist vielmehr nur in seinem „bereits getätigten“ Vertrauen zu schützen (z. B. wenn es um mitbestimmte personelle Maßnahmen geht), nicht für die Zukunft.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung ließ das Gericht die Rechtsbeschwerde zu (anhängig beim BAG unter dem Az. 1 ABR 26/18).

Dr. Claudia Rid

Dr. Claudia Rid
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, CMS Hasche Sigle, München

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Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung
Seite 546
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