Meinung: Empowerment statt autoritärer Führung

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 Bild: Marlena-Waldthausen
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Schon seit den 90er-Jahren wird von der sog. VUKA-Welt geschrieben und gesprochen. VUKA ist ein Akronym und steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität. Die VUKA-Welt wird von großen Trends und Krisen wie dem demografischen Wandel, geopolitischen Verschiebungen und Konflikten, der Wirtschaftskrise, der Digitalisierung aber auch dem Umgang mit Wissen gespeist. Längst haben wir die Epoche der Lüge, die Hannah Arendt im letzten Jahrhundert beschrieb, überschritten und sind im Zeitalter des „Bullshitting“ angekommen. Der Lügner hat noch einen Bezug zur Wahrheit, weil er Angst hat, überführt zu werden. Die Wahrheitskonstruktion ist noch intakt. Dem Milliardär, der täglich 100 Posts verfasst, ist die Wahrheit egal und ihm kann auch kein Faktencheck beikommen.

Manche wollen aus der VUKA-Welt schon eine BANI-Welt machen (brittle, anxious, nonlinear, incomprehensible), doch mir reicht schon die VUKA-Welt, um einen wichtigen psychologischen Effekt zu beschreiben. Die VUKA-Welt löst bei vielen Menschen Angst und Unsicherheit aus. Aus psychologischen Experimenten wissen wir, dass das nicht folgenlos für das Thema Führung bleibt. Bei Menschen, die Angst haben, werden u. a. zwei Prozesse ausgelöst. Der Sozialpsychologe John Jost beschreibt den sog. „authoritarian shift“. Wenn Menschen ihre Umwelt als unsicher erleben und Angst entsteht, dann verstärken sich ihre autoritären Einstellungen und mehr autoritäre Führung wird akzeptiert. Gleichzeitig wird aber auch unter Angst und im Stress mehr autoritäre Führung praktiziert. Es reicht schon eine Gruppe unter Zeitdruck zu setzen, um dieses Verhalten beobachten zu können.

Die autoritäre Führung hat aber – und das wissen wir schon seit vielen Jahrzehnten – sehr negative Auswirkungen. Menschen, die die Entscheidungen einer heroisch-autoritären Führungskraft abwarten, werden langfristig passiv. Es entsteht Hilflosigkeit, die das schnelle und agile Verhalten, was so notwendig in der VUKA-Welt ist, unterbindet. Dazu kommen sog. Informationspathologien, was Wolfgang Scholl von der HU Berlin zeigen konnte. Informationen, die beschaffbar sind, werden nicht beschafft. Informationen werden nicht korrekt angewendet, produziert oder weitergegeben. Die Informationen werden so eingefärbt, dass sie zur Meinung des autoritären Führers passen. Dazu kommt, dass große Machtfülle auch die Machthabenden negativ beeinflussen kann. Langfristig erhöht sich das Risiko für impulsives und korruptes Verhalten. Die Empathie nimmt ab und es wird mehr auf das Bauchgefühl gehört und weniger auf das Umfeld.

Passive Mitarbeiter, Informationspathologien und eine selbstherrliche Führungskraft führen letztendlich dazu, dass weniger gute Entscheidungen getroffen werden. Schlechte Entscheidungen erhöhen die Komplexität und damit die Herausforderungen der VUKA-Welt. Ein Teufelskreis beginnt.

Was ist die Alternative? Wir benötigen derzeit viel Macht- aber auch Ohnmachtskompetenz. Wir dürfen uns weder in der Gesellschaft noch in den Betrieben aus Angst in die autoritäre Führung treiben lassen. Als Alternative zur autoritären Führung bietet sich die Empowerment-orientierte Führung an. Hier legt die Führungskraft einen Schwerpunkt darauf, dass die Mitarbeiter Sinn, Selbstbestimmung, Kompetenz und Einfluss und damit mehr psychologisches Empowerment erleben können. Die Mitarbeiter werden ermächtigt, sodass sie auf die täglichen Herausforderungen reagieren können. Das führt nicht nur zu weniger psychischer Belastung und Fluktuation sowie mehr Arbeitszufriedenheit, sondern auch zu einer gesteigerten Leistungsfähigkeit, mehr Innovationsverhalten und Proaktivität. Und genau das sind die Verhaltensweisen, die die VUKA-Welt braucht und die helfen, die Chancen zu nutzen, die diese auch bringt.

Prof. Dr. Carsten Schermuly

Prof. Dr. Carsten Schermuly
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Meinung: Empowerment statt autoritärer Führung
Seite 7
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