Kündigung wegen Teamunfähigkeit und ungehöriger Äußerungen

§ 1 Abs. 2 KSchG; § 167 SGB IX

Auch wenn eine Arbeitnehmerin schon über Jahre hinweg mit ihrer negativen Ausstrahlung, ihrer missglückten und teilweise aggressiven Kommunikation und ihrem herrischen Verhalten gegenüber gleichrangigen Kolleginnen und Kollegen das Betriebsklima vergiftet hat oder haben soll, hat die Arbeitgeberin grundsätzlich mildere Mittel, insbesondere das Erfordernis einer Abmahnung, die Kommunikationswerkzeuge der Organisationsentwicklung sowie die im SGB IX vorgesehenen Maßnahmen zu prüfen und anzuwenden, bevor sie gegenüber der schwerbehinderten Mitarbeiterin eine Kündigung ausspricht.

(Leitsatz des Gerichts)

LAG Köln, Urteil vom 22.4.2021 – 6Sa790/20

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Bild: AlcelVision/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Klägerin ist 47 Jahre alt, ledig und schwerbehindert mit einem GdB von 60. Seit dem 1.8.2006 ist sie bei der Beklagten, einem Chemieunternehmen, im Customer Service Center beschäftigt und verdient 4.943 Euro brutto/Monat. Am 15.9.2014 erhielt die Klägerin eine schriftliche Abmahnung, weil sie angedroht hatte „krankzufeiern“. Am 22.9.2014 erhielt die Klägerin eine weitere Abmahnung, weil sie sich über die Kleidung eines Arbeitskollegen abfällig geäußert hatte. Am 10.5.2016 folgte eine Abmahnung mit dem Vorwurf, die Klägerin sei gegenüber einem Kunden aggressiv und forsch aufgetreten. Im Jahr 2016 wurde ein Inklusionsverfahren nach § 167 SGB IX durchgeführt.

Am 27.8.2018 und in der Zeit vom 22.2.2019 bis zum 8.8.2019 kam es zu insgesamt 13 Vorfällen, die im Einzelnen streitig sind. Auch hier ging es um den Vorwurf, die Klägerin sei Kunden und Kollegen gegenüber aggressiv und unangemessen aufgetreten. Nach Beantragung der Zustimmung zu einer verhaltensbedingten Kündigung beim Integrationsamt und dessen Zustimmung am 5.12.2019 sowie Anhörung und Zustimmung des Betriebsrats am 19.12.2019 sowie Anhörung der Schwerbehindertenvertretung und deren Erklärung, „nicht zu widersprechen“, kündigte die Beklagte ordentlich am 20.12.2019 zum 31.5.2020, weil die Klägerin durch aggressives und unverschämtes Verhalten den Betriebsfrieden störe und ihr wegen pathologischen Verhaltens die Eignung fehle. Hiergegen klagte die Arbeitnehmerin. Das ArbG Köln gab der Kündigungsschutz- und Weiterbeschäftigungsklage statt.

Entscheidung

Das LAG hielt die Kündigung für sozial nicht gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Sie ist weder durch Tatsachen bedingt, die im Verhalten der Klägerin liegen, noch ist sie durch Gründe bedingt, die in der Person der Klägerin zu finden sind.

Selbst wenn die Klägerin tatsächlich den Betriebsfrieden beeinträchtigt hat – durch (1.) „Hast du Alzheimer, oder was? Bist du blöd?“; (2.) „Sie sind keine Polizei, den Werksausweis gebe ich Ihnen nicht. Sie sind ein Rassist.“; (3) „Lügnerin“; (4.) „Fass meine Aufträge nicht an“; (5.) „Wenn du dich nicht darum kümmern willst, versuche es wenigstens nicht zu vertuschen.“; (6.) in giftigem Ton: „Ich bin jetzt weg, du übernimmst!“; (7.) „… wenn dein Französisch nicht ausreicht …“; (8.) „Wenn du Fragen hast, melden!“ und „na also, geht doch“; (9.) „Dich geht es nichts an, wann ich zum Training gehe.“; (10.) „Du bist Prozessspezialist!“; (11.) Aufgabe an Kollegen abgeschoben; (12.) süffisant und höhnisch: „Nur dass du Bescheid weißt und dich nicht beschwerst, wie vor 10 Jahren.“; (13.) am Telefon nur atmen, aber nicht sprechen; (14.) ein Mitarbeiter aus einer Schwestergesellschaft mag nicht bei der Klägerin anrufen –, also mit ihrer Kommunikationsform dem Betriebsfrieden nicht förderlich ist und ihre Kollegen mit ihrer schroffen Art bzw. ihrem „toxischen Verhalten“ verärgert hat, gilt der Ultima-Ratio-Grundsatz. Danach kann die Kündigung nur dann verhältnismäßig sein, wenn mildere zur Zielerreichung geeignete Mittel nicht mehr zur Verfügung stehen. Aus den Darlegungen der hierfür beweisbelasteten Beklagten ergibt sich nicht, dass sie alle geeigneten milderen Mittel zur Konfliktbekämpfung ausgeschöpft hätte. Neben der vom ArbG richtigerweise angesprochenen weiteren Abmahnung kommen nach dem LAG moderierte Teamgespräche, Mediation, Coaching, enge Führung usw., also alle Werkzeuge aus dem „Werkzeugkasten“ des Organisationsentwicklungsmanagements, in Betracht. Nach ihren Darlegungen hat die Beklagte nichts davon ernsthaft versucht. Im Präventionsverfahren gem. § 167 SGB IX fand zwar ein hochrangiges Gespräch statt, es wurden aber keine konkreten Organisationsentwicklungsmaßnahmen angestoßen, bis auf die Aufforderung an die Klägerin, sie möge ihr Verhalten ändern, was dem LAG nicht ausreicht (BAG, Urt. v. 7.12.2006 – 2 AZR 182/06, NZA 2007, S. 617; Knittel, 2017, SGB IX, § 84 Rn. 14).

Die einzige für die Prüfung einer verhaltensbedingten Kündigung relevante Bemerkung der Klägerin ist: „Hast du Alzheimer oder bist du blöd?“. Alle anderen ihr vorgeworfenen Bemerkungen und Handlungsweisen sind zwar grob, ungehobelt und kommunikativ mangelhaft, also einem Teammanagement zuführbar. Solche Verhaltensweisen verlangen vor allem Führung bzw. Personalführung. Der Spruch „Hast du Alzheimer oder bist du blöd?“ hebt sich von den anderen Bemerkungen und Verhaltensweisen dadurch ab, dass er, in Frageform gekleidet, eine Schmähkritik („blöd“) unsachlich verbindet mit der Unterstellung einer dramatischen Krankheit („Alzheimer“). Da seit den Abmahnungen und dem Inklusionsverfahren aber jahrelang nichts geschehen ist, kann eine solche beleidigende Bemerkung einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin einem hierarchisch gleichrangigen(Duz-)Kollegen gegenüber ohne eine vorherige ultimative Warnung mittels einer Abmahnung eine verhaltensbedingte Kündigung nicht rechtfertigen (LAG Hamm, Urt. v. 28.2.2007 – 3Sa1944/06, ArbuR 2007, S. 283: „du dumme Sau“).

Da in der Anhörung von Betriebsrat/Schwerbehindertenvertretung (§ 102 BetrVG; § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX) von einem Eignungsmangel oder einer pathologischen Irritation nirgends die Rede war, kann die Kündigung auch darauf nicht gestützt werden (vgl. bereits BAG, Urt. v. 1.4.1981– 7 AZR 1003/78, NJW 1981, S. 2772).

#ArbeitsRechtKurios: Amüsante Fälle aus der Rechtsprechung deutscher Gerichte - in Zusammenarbeit mit dem renommierten Karikaturisten Thomas Plaßmann (Frankfurter Rundschau, NRZ, Berliner Zeitung, Spiegel Online, AuA).

Konsequenzen

Die Entscheidung zeigt sehr plastisch, wie hoch die Anforderungen der Rechtsprechung an eine wirksame Kündigung sind, selbst in drastischen Fällen.

Praxistipp

Arbeitgeber müssen in solchen Fällen von Schlecht-/Minderleistung konsequent dranbleiben, eng führen, abmahnen und ernsthaft Präventions-/BEM-Verfahren und konkrete Maßnahmen (§ 167 Abs. 1, 2 SGB IX) bis zum Scheitern durchführen und dokumentieren (hierzu ausführlich: Stück, AuA 11/12, S. 632).

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