Vergütung eines freigestellten BR-Mitglieds ist nicht mitbestimmungspflichtig
● Problempunkt
Der Antragsteller ist ein in einem Betrieb der tarifgebundenen Antragsgegnerin gebildeter Betriebsrat. Er streitet mit der Arbeitgeberin über die Frage, ob ein Zustimmungsverfahren für die Anpassung der Vergütung des Betriebsratsvorsitzenden erforderlich ist. Die Arbeitgeberin hat die Vergütung des von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellten Betriebsratsvorsitzenden ohne Beteiligung des Betriebsrats durch eine Änderung der tarifvertraglichen Entgeltgruppe erhöht. Der Betriebsrat vertritt die Auffassung, dass er bei der Anpassung des Arbeitsentgelts nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen gewesen sei. Durch die Änderung der Entgeltgruppe liege eine Ein- oder Umgruppierung vor.
Die Vorinstanzen haben dem Antrag des Betriebsrats auf Einleitung eines Verfahrens nach § 99 BetrVG entsprochen (Sächsisches LAG, Beschl. v. 21.2.2023 – 3 TaBV 26/21).
▲ Entscheidung
Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde war erfolgreich. Der Betriebsrat habe kein Mitbestimmungsrecht bei einer Änderung der Vergütung des Betriebsratsvorsitzenden.
Zwar könne der Betriebsrat grundsätzlich die Aufhebung einer ohne seine Zustimmung durchgeführten personellen Einzelmaßnahme nach § 101 Satz 1 BetrVG verlangen. Dies gelte auch bei Ein- und Umgruppierungen nach § 99 Abs. 1 BetrVG. Die Anpassung des Entgelts eines freigestellten Betriebsratsmitglieds nach § 37 Abs. 4 oder § 78 Satz 2 BetrVG sei jedoch keine solche Ein- oder Umgruppierung.
Eine Eingruppierung i. S. v. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sei die erstmalige oder erneute Einreihung eines Arbeitnehmers in eine betriebliche Vergütungsordnung. Wenn diese später geändert wird, liege eine Umgruppierung vor. Das Wesen derartiger personeller Einzelmaßnahmen liege folglich in der Zuordnung einer zu verrichtenden Tätigkeit des Arbeitnehmers zu einer bestimmten Gruppe einer Vergütungsordnung. Dies richte sich nach der Maßgabe der dafür vorgesehenen Kriterien.
Die Erhöhung des Arbeitsentgelts eines freigestellten Betriebsratsmitglieds sei dagegen nicht auf die Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe gerichtet. Eine dahingehende Entgeltanpassung sei entweder auf die betriebsübliche berufliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer oder die Vermeidung einer Benachteiligung gerichtet, welche dem Betriebsratsmitglied nur infolge der Amtsübernahme widerfährt. In beiden Fällen finde lediglich eine Anpassung des Arbeitsentgelts auf die Vergütungshöhe vergleichbarer Arbeitnehmer statt. Das folge direkt aus der den Arbeitgeber treffenden Verpflichtung, einem Betriebsratsmitglied eine berufliche Entwicklung zu gewährleisten, die ohne die Übernahme der Amtstätigkeit erfolgt wäre. Diese Verpflichtung sei nicht auf die berufliche Tätigkeit beschränkt, sondern beinhalte auch die Zahlung des sich daraus ergebenden Entgeltes.
Das Betriebsratsmitglied habe aus den genannten betriebsverfassungsrechtlichen Schutznormen daher auch einen unmittelbar auf Zahlung des höheren Entgelts gerichteten Anspruch. Dieser sei folglich gerade nicht auf die Einordnung in eine betriebliche Vergütungsordnung gerichtet.
›› Konsequenzen
Die Frage der Mitbestimmung des Betriebsratsgremiums bei einer Vergütungsanpassung für den freigestellten Betriebsratsvorsitzenden kann durchaus aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden. Das durch den ersten Senat des BAG festgestellte Ergebnis ist keineswegs zwingend, sondern wurde erst durch eine weitreichende Auslegung aller einschlägigen Normen erzielt.
Im Ausgangspunkt stellt das BAG zutreffend heraus, dass es sich bei den §§ 37, 78 BetrVG um Schutznormen handelt, die dem Betriebsratsmitglied im Ergebnis einen Anspruch auf Anpassung seiner Vergütung wegen einer Schlechterstellung bzw. einer verpassten betriebsüblichen beruflichen Entwicklung geben. Dass dies nicht an eine betriebliche Vergütungsordnung anknüpft, kann aber nicht restlos überzeugen. So ist auch der Sinn und Zweck der Mitbestimmung in den Blick zu nehmen. Dieser soll die einheitliche und zutreffende Anwendung der betrieblichen Vergütungsordnung gewährleisten. Im Ergebnis wird damit ein ganz wesentlicher Beitrag zur innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit geleistet.
Diese Zielsetzung steht im Einklang mit den genannten Schutznormen für Betriebsratsmitglieder. Betriebsratsmitglieder sollen danach genauso behandelt werden wie vergleichbare Arbeitnehmer im Betrieb. Eine Schlechterstellung gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern soll genauso verhindert werden wie ein schlechteres berufliches Vorankommen aufgrund der Betriebsratstätigkeit. Damit dieses Ziel auch bei freigestellten Gremiumsmitgliedern erreicht werden kann, ist auf das Entgelt als entscheidendem Parameter abzustellen. Die Entgeltentwicklung des Betriebsratsmitglieds während der Dauer seiner Amtszeit soll nicht hinter derjenigen zurückbleiben, die vergleichbare Arbeitnehmer nach den betriebsüblichen Umständen durchlaufen (zuletzt etwa BAG, Beschl. v. 23.11.2022 – 7 AZR 122/22). All dies dürfte einer Mitbestimmung des Gremiums gerade nicht entgegenstehen. Der erste Senat des BAG stellt dazu indes fest, dass bei Betriebsratsmitgliedern nicht die zu verrichtenden Arbeitsaufgaben, sondern lediglich ein möglicher Arbeitsplatz bewertet wird. Weil darin eine personenunabhängige und damit abstrakte Bewertung von Arbeitsplätzen oder Tätigkeiten liege, sei der Anwendungsbereich des § 99 BetrVG nicht eröffnet.
Praxistipp
Die Begründung kann zwar wie aufgezeigt nicht restlos überzeugen, gleichwohl schafft das Ergebnis Rechtssicherheit für die Betriebsparteien. Dies sorgt für erfreuliche Klarheit für die Personalpraxis. Der erste Senat des BAG klärt die ihm vorgelegte Rechtsfrage folglich in vollem Umfang. Offene Fragen verbleiben nicht. Die damit verbundene Rechtssicherheit ist für alle Beteiligten in der unternehmerischen Praxis ausdrücklich zu begrüßen.
Prof. Dr. Tim Jesgarzewski

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