Kranke Arbeitnehmer müssen nicht an Personalgespräch teilnehmen
Problempunkt
Die Klägerin ist seit 2007 bei der Beklagten beschäftigt. Am Morgen des 18.3.2013 meldete sie sich per E-Mail von der Arbeit ab und bat spontan um eine Woche Urlaub, um ein Änderungsangebot der Beklagten in Ruhe zu überdenken. Der Geschäftsführer der Beklagten teilte ihr per Mail mittags mit, dass er so lange auf ihre Entscheidung nicht warten könne. Diese müsse bis zum 20. März vorliegen. Vom 20. bis zum 30.6.2013 war die Klägerin krankgeschrieben.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis noch am 20. März ordentlich, wogegen die Klägerin klagte. In der Folgezeit lud die Beklagte die Klägerin mehrfach kurzfristig zu einem Personalgespräch ein, ohne das Thema der Besprechung mitzuteilen (Einladung vom 26. April zu Gespräch 30. April, vom 2. Mai zu Gespräch
am 6. Mai sowie vom 7. Mai zu Gespräch am 10. Mai). Die Klägerin blieb den Terminen jeweils fern, erhielt sodann eine Abmahnung und schließlich am 14. Mai eine weitere Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses zum 31.7.2013.
Die Beklagte meint, die Klägerin sei verpflichtet gewesen, an den angeordneten Personalgesprächen teilzunehmen. Die entsprechende Weisung habe billigem Ermessen entsprochen. Auch ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer habe Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu erfüllen und sei hierzu auch regelmäßig in der Lage.
Die gegen beide Kündigungen gerichtete Klage hatte sowohl vor dem ArbG Nürnberg als auch vor dem LAG Nürnberg Erfolg. Dieses ließ allerdings wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache die Revision zu (Az. BAG: 2 AZR 855/15).
Entscheidung
Nach dem LAG ist die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Die Klägerin ist zwar wiederholt nicht zu dem von der Beklagten angeordneten Personalgespräch erschienen. Dazu war sie aber nicht verpflichtet i. S. d. § 106 GewO.
Ist ein Mitarbeiter arbeitsunfähig erkrankt, darf der Arbeitgeber ihm keine Weisungen bzgl. der Arbeitsleistung erteilen, da kranke Arbeitnehmer von der Erbringung der Arbeitsleistung befreit sind. Demnach konnte die Beklagte nicht wirksam anordnen, dass die Klägerin während ihrer Arbeitsunfähigkeit zu einem Personalgespräch erscheinen sollte. Dabei ist es unerheblich, ob sie aufgrund ihres Gesundheitszustands in der Lage gewesen wäre, an den Gesprächen teilzunehmen. Sie war hierzu nicht verpflichtet, denn eine teilweise Arbeitsunfähigkeit gibt es nicht (BAG, Urt. v. 9.4.2014 – 10 AZR 637/13, AuA 4/15, S. 245).
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin verpflichtet war, an den Personalgesprächen teilzunehmen, weil es darin um sog. leistungssichernde Verhaltenspflichten hätte gehen sollen. Nach Auffassung des LAG besteht während einer Arbeitsunfähigkeit unabhängig vom Thema generell keine Verpflichtung, an einem vom Unternehmen angeordneten Personalgespräch teilzunehmen. Da derartige Nebenpflichten lediglich die Funktion haben, den Arbeitsvertrag ordnungsgemäß zu erfüllen, kann ein Arbeitgeber die Bereitschaft eines arbeitsunfähig erkrankten Beschäftigten, diesbezügliche Weisungen in einem Personalgespräch entgegenzunehmen, nicht fordern. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich das Personalgespräch auf die Ordnung/das Verhalten der Klägerin im Betrieb beziehen sollte, das über die bereits schriftlich erteilten Rügen hinausging.
Selbst wenn die Klägerin grundsätzlich verpflichtet gewesen wäre, trotz ihrer Erkrankung an einem vom Unternehmen angeordneten Personalgespräch teilzunehmen, galt dies nicht für das Gespräch am 10.5.2013. Da die Beklagte nicht vorgetragen hat, welchen dringenden, unaufschiebbaren Gesprächsbedarf sie hatte, so dass es für sie nachteilig gewesen wäre, hiermit zu warten, bis die Klägerin wieder arbeitsfähig war, entspricht die Weisung jedenfalls nicht billigem Ermessen i. S. d. § 106 GewO.
Konsequenzen
Häufig nutzen Arbeitgeber Personalgespräche, um vom Direktionsrecht nach § 106 GewO Gebrauch zu machen. Deshalb ist anerkannt, dass das Weisungsrecht grundsätzlich auch die Berechtigung umfasst, den Arbeitnehmer zur Teilnahme an Gesprächen zu verpflichten, in denen das Unternehmen Weisungen vorbereiten, erteilen oder ihre Nichterfüllung beanstanden will. Nicht erfasst sind Personalgespräche mit dem Ziel, über den Vertragsinhalt zu verhandeln – diesen kann der Mitarbeiter fernbleiben, ohne sich vertragswidrig zu verhalten (BAG, Urt. v. 23.6.2009 – 2 AZR 606/08, AuA 10/10, S. 613).
Das LAG Nürnberg lehnt die Teilnahme an einem Personalgespräch während der Krankheit generell ab, insbesondere, wenn der Arbeitgeber keinen nachvollziehbaren sachlichen Grund dafür vortragen kann, so dass der Verdacht einer Schikane naheliegen könnte.
Praxistipp
Auch die Teilnahme an einem BEM-Gespräch nach § 84 SGB IX, dessen Durchführung gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers ist, ist freiwillig. Der Beschäftigte kann dies also ablehnen, ohne arbeitsvertragliche Pflichten zu verletzen und Abmahnung oder Kündigung zu riskieren. Anerkannt ist aber auch, dass das Unternehmen das BEM auch während einer Langzeitkrankheit anbieten muss, denn es ist von der Konzeption her kein Krankenrückkehrgespräch. Der zur BEM-Initiative verpflichtete Arbeitgeber hat also Beschäftigte im Krankenstand wegen des BEM anzuschreiben und aufzuklären (BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 664/13, NZA 2015, S. 931).
RA Volker Stück, Leiter Personal und Integritiy-Beauftragter Hochspannungsprodukte, ABB AG, Hanau
Redaktion (allg.)

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