Mitbestimmung bei technischer Überwachung durch Belastungsstatistik
Problempunkt
Ein Versicherungsunternehmen beabsichtigte die Einführung einer Belastungsstatistik für seine Mitarbeiter. Diese wurde unter Zuhilfenahme von EDV-Systemen erstellt und sollte dem Zweck dienen, Belastungssituationen der Belegschaft zu erkennen, zu analysieren und steuernd eingreifen zu können. Eine Einigung zum Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung zwischen den Betriebsparteien zu diesem Regelungsgegenstand konnte nicht erzielt werden, weshalb eine Gesamtbetriebsvereinbarung hierzu durch den Spruch einer Einigungsstelle beschlossen wurde. Der Gesamtbetriebsrat beantragte die Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs, da die Einigungsstelle ohne abschließende Regelung zum Thema „Gesundheitsschutz“ beschlossen habe – was ausdrücklicher Wunsch des Betriebsrats war und zutraf. Zum anderen sei die Gesamtbetriebsvereinbarung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Mitarbeiter unwirksam. Die in der Gesamtbetriebsvereinbarung geregelten EDV-Prozesse sahen u. a. vor, dass die erledigten Arbeitsmengen (Telefonzeiten, Anzahl abgeschlossener Fälle), die unerledigten Rückstände sowie das Verhältnis der Arbeitsleistung eines Mitarbeiters zu vergleichbaren Kollegen erfasst und gespeichert wurden. Hierzu wurden Berichte erstellt, die bei „Abweichungen“ von Arbeitnehmern an Vorgesetzte verschiedener Hierarchielevel automatisiert weitergegeben wurden.
Entscheidung
Während der Gesamtbetriebsrat in den Vorinstanzen jeweils unterlegen war, gab das BAG seinem Antrag statt. Dabei stellte es allerdings nicht darauf ab, dass die Einigungsstelle schon keine Regelungen zum Gesundheitsschutz getroffen hat. Insoweit ist ein Mitbestimmungstatbestand des Gesamtbetriebsrats nicht erfüllt. In Fragen des Gesundheitsschutzes besteht ein Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nur bei Vorliegen konkreter Gesundheitsgefährdungen, die hier jedoch nicht vorlagen.
Vielmehr ist der Spruch der Einigungsstelle deshalb unwirksam, weil er das nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter missachte. Zwar stellt es ein legitimes Anliegen eines Arbeitgebers dar, eine unterschiedliche Belastungssituation der Arbeitnehmer in Erfahrung zu bringen, um eine sach- und mitarbeitergerechte Arbeitssteuerung zu ermöglichen und die Effizienz der Arbeitsorganisation zu verbessern. Auch ist eine Analyse dieser Belastungssituation unter Einschaltung von EDV-Systemen zulässig. Allerdings heiligt dieser Zweck nicht die gewählten Mittel. Einerseits stellt sich bereits die Frage, ob die Statistik auf einer zutreffenden Basis erstellt wurde, um die Belastungssituation verlässlich zu ermitteln. Insoweit bemängelte das BAG, dass lediglich quantitative nicht aber qualitative Faktoren der geleisteten Arbeit von der Statistik erfasst werden. Andererseits ist die Erfassung und Auswertung der Beschäftigtendaten in der gewählten Form unangemessen und damit als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht anzusehen. Die genutzten EDV-Systeme führten dazu, dass der einzelne Arbeitnehmer während der gesamten Dauer seiner Arbeitszeit davon ausgehen musste, dass sein wesentliches Aufgabenspektrum auf elektronischem Wege anhand einer Vielzahl von quantitativen Kriterien durchgehend erfasst wurde. Dies führt zu einem ständigen Überwachungs- und daran anknüpfenden Anpassungs- und Leistungsdruck in allen wesentlichen Arbeitsbereichen.
Da auch die vorgesehene Beschränkung des Zugriffs auf Mitarbeiterdaten durch ein entsprechendes Berechtigungskonzept wie auch die zeitliche Einschränkung von Zugriffsmöglichkeiten und die periodische Löschung von Daten einen bestehenden Eingriff nicht rechtfertigen konnte, stellte das BAG insgesamt – wie vom Gesamtbetriebsrat beantragt – die Unwirksamkeit der Gesamtbetriebsvereinbarung fest.
Konsequenzen
Wenig überraschend lässt das BAG eine lückenlose Überwachung von Mitarbeitern nur in sehr engen Ausnahmefällen zu. Vergleichbar mit der Einführung einer Videoüberwachung der Belegschaft im Betrieb – auch hier hatte das BAG im Jahr 2008 einen entsprechenden Einigungsstellenspruch wegen eines Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht für unwirksam erachtet (BAG, Beschl. v. 26.8.2008 – 1 ABR 16/07, AuA 6/09, S. 374) – ist bei der Nutzung von EDV-Systemen darauf zu achten, dass ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren muss. Zu begrüßen ist jedoch insoweit, dass das BAG ausdrücklich feststellt, dass die Analyse von Mitarbeiterdaten zur Belastungssteuerung durchaus als legitimer Zweck zur Rechtfertigung der Implementierung eines entsprechenden Systems herangezogen werden kann. Das BAG misst der ausdrücklichen Zwecksetzung durch den Arbeitgeber große Bedeutung zu.
Praxistipp
Bei der Einführung von IT-Systemen, die zumindest auch zur Überwachung von Mitarbeitern geeignet sein können und dazu Mitarbeiterdaten erheben, sind neben den datenschutzrechtlichen Anforderungen des BDSG (sowie demnächst der DSGVO) auch die Voraussetzungen des BetrVG zu beachten. Hier ist insbesondere auf die Verfolgung eines legitimen Zwecks zu achten, der ausreichend detailliert in einer entsprechenden Betriebsvereinbarung niedergelegt werden sollte. Die Datenverarbeitung zum Zwecke der Belastungssteuerung ist jedenfalls nicht per se rechtswidrig, bedarf jedoch einer Systemausgestaltung mit Augenmaß. Hierzu sind die konkreten Verarbeitungsschritte im Einzelfall der vorliegenden Zwecksetzung gegenüber zu stellen, um abschließend beurteilen zu können, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht ausreichend berücksichtigt wird.
Dr. Patrick Flockenhaus

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