„Das Ehrenamtsprinzip dient der inneren und äußeren Unabhängigkeit der Betriebsratsmitglieder“

Wortwechsel
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 Bild: Nuthawut/stock.adobe.com
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Die Betriebsverfassung fußt auf dem Ehrenamtsprinzip. Wie ist dieses im deutschen Arbeitsrecht verankert? Wie beurteilen Sie mit Blick darauf die anstehende gesetzliche Regelung zur Vergütung von Betriebsratsmitgliedern?

Klengel: Die anstehenden Neuregelungen führen in einigen Punkten zu mehr Rechtssicherheit. So wird in weiten Teilen die bisherige Rechtsprechung des BAG kodifiziert, wenn es etwa darum geht, dass der Zeitpunkt der Amtsübernahme für die Festlegung des Kreises der vergleichbaren Arbeitnehmer relevant ist oder wenn die Gesetzesbegründung auf die Rechtsprechung zu hypothetischen Karrieren Bezug nimmt.

Wenn Betriebsrat und Arbeitgeber einig sind, können sie in einer Betriebsvereinbarung den Kreis vergleichbarer Arbeitnehmer festlegen, was jedoch leider nicht erzwingbar ist. Die Rechtsprechung des BAG, dass der Kreis vergleichbarer Arbeitnehmer durch Betriebsvereinbarung festgelegt werden kann, wird im Gesetz verankert. An diesen Maßstäben wird sich auch die strafrechtliche Bewertung messen lassen müssen, sodass hier in Zukunft weniger unangebrachte Strafverfahren zu erwarten sind.

Diese Rechtssicherheit muss auch dringend hergestellt werden. Unter dem Eindruck der Rechtsprechung des Strafsenats des BGH zu Untreue bei der Betriebsratsvergütung werden derzeit in vielen Betrieben Entgeltstufen oder Freistellungen überprüft und gestrichen. Unternehmen lassen es auf eine gerichtliche Verurteilung ankommen, um eine sichere Grundlage zu haben. Dadurch werden Gerichte und die Ausübung der Mitbestimmung belastet. Bedauerlich ist vor allem, dass damit die wichtige Arbeit von Betriebsräten keine Anerkennung erhält und gleichzeitig verbreitete Nachteile, denen viele Mitglieder der Gremien ausgesetzt sind, nicht zur Sprache kommen.

Lelley: Betriebsräte führen ihr Amt nach § 37 Abs. 1 BetrVG unentgeltlich als Ehrenamt. Und das ist auch gut so. Sie dürfen wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden; dies gilt auch nach § 78 Satz 2 BetrVG für ihre berufliche Entwicklung. Ich denke, allen Beteiligten ist klar: Das Ehrenamtsprinzip dient der inneren und äußeren Unabhängigkeit der Betriebsratsmitglieder bei der Amtsausübung.

Inwiefern unterstützt das Ehrenamtsprinzip die Unabhängigkeit und die Fähigkeit von Betriebsratsgremien, eine wirksame Interessenvertretung der Belegschaft sicherzustellen? Sehen Sie besondere Herausforderungen?

Klengel: Das Ehrenamtsprinzip verstetigt die Vergütung, die ein Betriebsratsmitglied erhält, und sichert die Unabhängigkeit des Gremiums: Es soll nicht vom Gutdünken des Arbeitgebers abhängig sein, ob das Betriebsratsmitglied als Sanktion für engagierte Betriebsratsarbeit abgestraft wird oder für Wohlverhalten oder zum Zwecke der „Landschaftspflege“ einen Vorteil erhält. Außerdem soll vermieden werden, dass die Betriebsräte generell durch die Ausübung ihrer Tätigkeit materielle Vor- oder Nachteile erhalten.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Gerade in größeren Unternehmen sind Betriebsräte häufig länger im Einsatz und erwerben im Rahmen der Amtsausübung erhebliche Qualifikationen, z. B. Führungs- und Verhandlungsstärke, betriebswirtschaftliche, technische und juristische Kenntnisse; die Amtsführung ist mit großer Verantwortung verbunden. Es wird als ungerecht empfunden, dass sich diese nicht in der Vergütung widerspiegelt. In kleineren und mittleren Betrieben hingegen geht es eher darum, Mitbestimmungsstrukturen vor Repression des Arbeitgebers zu schützen und Betriebsräte zu befähigen, ihre Rechte wahrzunehmen. Hierzu sieht der Entwurf leider keine Verbesserungen vor.

Lelley: Nach dem Ehrenamtsprinzip darf für die Ausübung der Betriebsratstätigkeit neben dem arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsentgelt keine besondere Vergütung gewährt werden. Die Amtsführung der Betriebsratsmitglieder darf nicht durch den Erhalt oder den drohenden Verlust besonderer materieller Vorteile beeinflusst werden. Das Ehrenamtsprinzip sichert Unabhängigkeit, da die gewählten Mitglieder ehrenamtlich aus der Belegschaft kommen.

Das Prinzip ermöglicht eine vielfältige Interessenvertretung, birgt aber auch Herausforderungen wie Zeitmangel und begrenzte Fachkenntnisse. Die Betriebsratsmitglieder können außerdem in Konfliktsituationen zwischen ihrer Rolle als Arbeitnehmer und ihrer Rolle als Interessenvertreter geraten. Mangels konkreter Vorgaben im BetrVG kann insbesondere die Bemessung einer angemessenen Vergütung anhand der Entwicklung der Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer nach § 37 Abs. 4 BetrVG Schwierigkeiten bereiten. Trotz dieser Herausforderungen trägt das Ehrenamtsprinzip aus meiner Sicht wesentlich zur Stärkung der Interessenvertretung und des Vertrauens der Belegschaft bei. Das sehe ich in der Beratungspraxis auch immer wieder bestätigt.

Abgesehen von der anstehenden Regelung: Wie bewerten Sie die gegenwärtige Diskussion hinsichtlich der Einführung einer Vergütung für Betriebsratsmitglieder?

Klengel: Jede Lösung zur Betriebsratsvergütung hat ihre Vor- und Nachteile. Letztlich scheint mir das Ehrenamtsprinzip der beste Ausgangspunkt zu sein. Durch kleinere Veränderungen, zu denen auch verbesserte Beweismöglichkeiten für die Betriebsräte zählen, könnte hier viel erreicht werden.

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Die Einführung einer „Betriebsratsvergütung“ wäre hingegen ein grundsätzlicher Wechsel. Sie ist ein interessantes Gedankenspiel. Wenn man die Regelung entsprechend formuliert, könnten klare Spielregeln geschaffen werden. Allerdings müsste man sich einerseits die Frage stellen, wie das Amt für alle Beschäftigtengruppen attraktiv ausgestaltet werden kann und andererseits, wie man sicherstellt, dass die Durchlässigkeit für den Wechsel zurück in den Job gewährleistet bleibt. Schließlich handelt es sich um ein Wahlamt.

Lelley: Für das Amt des Betriebsrats als privatrechtliches Ehrenamt gilt strikt der Grundsatz der Unentgeltlichkeit. Und das hat sich der Gesetzgeber nicht einfach so einfallen lassen. Denn nur so kann die innere Unabhängigkeit des Betriebsratsmitglieds und des Betriebsrats als Organ gewährleistet werden. Darauf wird auch in der Fachliteratur zurecht immer wieder hingewiesen. Die Einführung einer Vergütung für Betriebsratsmitglieder könnte mehr Probleme für die Praxis verursachen, da ihre Unabhängigkeit dadurch gefährdet werden kann. Das kann dann wieder zu einem erhöhten Risiko von Interessenkonflikten führen, da finanzielle Anreize die Motivation der Mitglieder beeinflussen könnten. Außerdem trägt das Ehrenamtsprinzip zur Glaubwürdigkeit der Betriebsratsarbeit bei. Umgekehrt steht zu befürchten, eine „Profi-Vergütung“ werde das Image der Betriebsratsmitglieder als Interessevertreter negativ beeinflussen.

Welche Auswirkungen hätte die Einführung einer Vergütung auf Motivation, Unabhängigkeit und Effektivität der Betriebsratsmitglieder? Steht zu befürchten, eine eventuelle Veränderung könnte sich auf das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat auswirken?

Klengel: Wir bewegen uns natürlich im Bereich der Spekulation. Ich würde nicht mit einer gravierenden Veränderung des Verhältnisses zur Arbeitgeberseite rechnen, die ja doch durch die Regelungen des Betriebsverfassungsrechts vorgeprägt ist. In der Tendenz könnten aber einige aktuelle Trends der Betriebsratsarbeit weiter verstärkt werden. Viele Betriebsräte arbeiten bereits heute sehr professionell. Wenn Betriebsräte eine festgelegte Vergütung erhalten, könnte sich eine regelrechte Betriebsratslaufbahn herausbilden. Aus Unternehmenssicht kann eine solche Entwicklung sicherlich Vor- und Nachteile bringen. Generell können Unternehmen mit einem Ehrenamtsprinzip, das gut handhabbar ausgestaltet ist, doch gut leben.

Lelley: Ich kann das nur wiederholen: Aus meiner Sicht würde sich die Einführung einer Vergütung für die Mitglieder des Betriebsrats für ihre Betriebsratstätigkeit negativ auswirken. Das braucht kein Mensch. Die Motivation der Amtsträger könnte durch finanzielle Anreize gesteuert werden, was die intrinsische Motivation für die Interessenvertretung beeinträchtigen könnte. Außerdem könnte eventuelle finanzielle Abhängigkeit ein Hindernis für die Unabhängigkeit der Betriebsratsmitglieder sein, da ihre Entscheidungen und Handlungen von finanziellen Interessen beeinflusst sein könnten. Geld ist ja bekanntlich kein kleiner Motivator. Die Einführung einer Vergütung könnte sich auch nachteilig auf die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat auswirken, da aufgrund der finanziellen Interessen Misstrauen oder Spannungen entstehen könnten. Das gilt besonders mit Blick auf die Arbeitnehmer und den Betrieb, zu deren Wohl die Betriebsparteien vertrauensvoll zusammenarbeiten sollen. Und zwar unentgeltlich.

Dr. Ernesto Klengel

Dr. Ernesto Klengel
Wissenschaftlicher Referent für Arbeitsrecht, HSI der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf
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· Artikel im Heft ·

„Das Ehrenamtsprinzip dient der inneren und äußeren Unabhängigkeit der Betriebsratsmitglieder“
Seite 30 bis 31
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