Entgelttransparenzgesetz im Praxistest

Auskunftsanspruch der Beschäftigten
Im vergangenen Jahr ist das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) in Kraft getreten und es stellt die Unternehmen bei der Beantwortung des Auskunftsverlangens vor erhebliche Herausforderungen – angefangen bei der Umsetzung des weiten Entgeltbegriffs und der Berechnung des statistischen Medians der Vergleichsgruppe bis hin zur Ausgestaltung des Antwortschreibens.
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 Bild: Hyejin Kang/stock.adobe.com
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1 Vergleichsentgelt

Der Arbeitgeber soll das Vergleichsentgelt ermitteln. Dabei geht das EntgTranspG vom sog. weiten Entgeltbegriff aus. Zum Entgelt zählen alle gegenwärtigen oder künftigen Leistungen, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auf Grund des Dienstverhältnisses gewährt, unabhängig davon, ob sie auf Grund eines Arbeitsvertrags, kraft Rechtsvorschrift oder freiwillig erbracht werden (BAG, Urt. v. 14.8.2007 – 9 AZR 943/06). Somit ist es unerheblich, weshalb die Leistung vom Arbeitgeber gewährt wird, sofern sie auch nur mittelbar im Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis erbracht wird. Dazu zählen bspw. auch Mitarbeiterrabattierungen, Fahrtkosten, Nutzung der bezuschussten Betriebskantine. Auch betriebliche Systeme der sozialen Sicherung sollen nach der Gesetzesbegründung in die Berechnung des Vergleichsentgelts einfließen (BT-Drs. 18/11133, S. 54).

2 Umgang mit mittelbaren Bestandteilen

Überlegungen, mittelbare Entgeltbestandteile, die alle Beschäftigten der Höhe nach gleichermaßen erhalten oder diesen gleichermaßen zustehen, nicht mit einzubeziehen, tragen nach der Definition des weiten Entgeltbegriffs ein erhebliches Rechtsrisiko in sich. In der Praxis führt das dazu, dass etwa auch gesetzliche Zuschläge – wie Sonn- und Feiertagszuschläge, Nachtzuschläge, Mehrarbeitszuschläge – in der Vergleichsentgeltberechnung zu berücksichtigen sind, obwohl diese Zulagen nur und zu 100 % geschlechtsneutral gezahlt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.

Zur Vermeidung rechtlicher Risiken werden Arbeitgeber auch diese Entgeltbestandteile in der Berechnung des Vergleichsentgelts berücksichtigen müssen – unabhängig von dem bürokratischen Aufwand und der Zweckmäßigkeit dieses Vorgehens. Denn je mehr Entgeltbestandteile in das Vergleichsentgelt einbezogen werden, desto weniger aussagekräftig wird dieser Wert für den Beschäftigten sein, der bisweilen erheblich von dem monatlichen Bruttogehalt, das auf der Gehaltsabrechnung ausgewiesen wird, abweicht.

Gerade mit Blick auf Transparenz von Entgeltstrukturen wäre es aus unserer Sicht erforderlich gewesen, zwischen Bruttogrundgehalt und einzelnen Entgeltbestandteilen zu unterscheiden. Alles andere verfälscht das Ergebnis der Auskunft.

Erschwerend kommt für Arbeitgeber bei der Vergleichsentgeltberechnung auch die Kapitalisierung der Sachleistungen hinzu (vgl. den Leitfaden der BDA vom Oktober 2017: Das neue Entgelttransparenzgesetz – Handlungsempfehlungen für die Praxis, S. 18). Auch das kann Arbeitgeber in der Praxis vor Herausforderungen stellen, weil es meist mehrere Möglichkeiten zur Kapitalisierung gibt. In diesen Fällen müssen die einzelnen Vor- und Nachteile sehr genau gegeneinander abgewogen werden. Die Entscheidung für eine der beiden oder mehrere Möglichkeiten der Kapitalisierung trägt am Ende der Arbeitgeber – und damit liegt auch bei ihm das Risiko einer gerichtlichen Überprüfung. Es wäre wünschenswert gewesen, in der Gesetzesbegründung zur Kapitalisierung der Sachleistungen eindeutige Hinweise zu geben oder konkret zu formulieren, wie oder nach welchen Kriterien eine solche zu erfolgen hat.

3 Erleichterungen in der Praxis

Für tarifgebundene und tarifanwendende Arbeitgeber sieht der Gesetzgeber Erleichterungen in Bezug auf die Erläuterung der Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung sowie der Vergleichsgruppenbildung zur Berechnung des Vergleichsentgelts vor. Vergleichbare Tätigkeiten müssen nicht mühevoll ermittelt und begründet, Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung im Antwortschreiben nicht dargelegt werden. Es reicht ein bloßer Hinweis auf die entsprechende Regelung sowie die Angabe, wo diese Regelung einzusehen ist, aus.

Diese Privilegierung gilt aber nur für die Tarifbeschäftigten und nicht für die außertariflichen Angestellten tarifgebundener und tarifanwendender Unternehmen (BT-Drs. 18/11133, S. 59). Das heißt: Bei außertariflichen Angestellten tarifgebundener und tarifanwendender Unternehmen müssen die Vergleichsgruppen nach den im Gesetz genannten Kriterien gebildet werden. Im Antwortschreiben müssen Arbeitgeber die einschlägigen Textpassagen einer ggf. bestehenden Betriebsvereinbarung, in der die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung erläutert werden, dem Wortlaut nach wiedergeben. Ein bloßer Hinweis auf eine solche Betriebsvereinbarung sowie die Angabe des Ortes, wo sie einzusehen ist, reicht nicht aus (vgl. den Leitfaden der BDA, S. 44). Bei Vorliegen einer Betriebsvereinbarung stellt eine solche Vorgehensweise für das Unternehmen einen unnötigen bürokratischen Aufwand ohne nennenswerten Mehrwert für den Antragssteller dar. Warum der Gesetzgeber die Privilegierung tarifgebundener und tarifanwendender Unternehmen nicht auch für Beschäftigtengruppen hat gelten lassen, deren Entgeltregelungen nicht in Tarifverträgen, aber in Betriebsvereinbarungen geregelt und mit den Sozialpartnern (= Betriebsräten) verhandelt sind, ist nicht nachzuvollziehen.

Entgeltrelevante Betriebsvereinbarungen für außertarifliche Angestellte finden sich in vielen tarifgebundenen und tarifanwendenden Unternehmen wieder und werden mit den Betriebsräten verhandelt. Durch die Einbindung der Gremien wird wie bei der Einbindung der Gewerkschaften sichergestellt, dass sich keine geschlechtsdiskriminierenden Regelungen in den Vereinbarungen wiederfinden. Daher wäre es aus unserer Sicht logisch und praktikabel gewesen, die Privilegierung auf solche Fallkonstellationen auszuweiten.

4 Der Median

Mit dem ersten Auskunftsersuchen entstehen in den Unternehmen auch die Diskussionen zur inhaltlichen Ausgestaltung des Antwortschreibens. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist nach § 11 Abs. 3 Satz 2 EntgTranspG nur das Vergleichsentgelt als ein auf Vollzeitäquivalente hochgerechneter Median des durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelts sowie der ggf. benannten Bestandteile, jeweils bezogen auf ein Kalenderjahr, anzugeben.

Viele Beschäftigte werden den statistischen Median nicht kennen. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, was ein Median ist und welche Aussagen er treffen kann, um als Mitarbeiter den Inhalt des Antwortschreibens und die Angaben zum Vergleichsentgelt richtig einordnen zu können.

Aus diesem Grund werden die Unternehmen nicht umhinkommen, im Antwortschreiben zu erklären, dass der Median der Wert in der Mitte einer der Größe nach geordneten Datenreihe ist – also der Wert, der an der mittleren (zentralen) Stelle steht, wenn die Werte der Größe nach sortiert werden. Der Median teilt einen Datensatz so stets in zwei Hälften. Bezogen auf das Vergleichsentgelt heißt das: 50 % der Beschäftigten in der Vergleichsgruppe verdienen mehr und 50 % weniger als der Median.

Der Umstand, dass ein Arbeitnehmer unter dem Median liegt, bedeutet damit nicht automatisch, dass er benachteiligt ist.

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5 Rechtfertigende Umstände

Viele objektive Faktoren wie der Marktwert einer Funktion, Berufserfahrung sowie persönliche Qualifikationen werden bei der Entgeltfindung berücksichtigt und müssen zur Erklärung herangezogen werden. Nur so kann man dem auskunftsfragenden Beschäftigten zufriedenstellend beantworten, wie sich seine individuelle Lage im Verhältnis zum Median erklärt. In großen Unternehmen lassen sich diese Anforderungen ohne entsprechende IT-Unterstützung kaum realisieren. Zu viele Daten müssen die Verantwortlichen analysieren, nebeneinanderstellen und bewerten. Bei Einzelfragen kommen die Arbeitgeber nicht umhin, auf Recherchen von Personalakten und auf (Historien-)Wissen von Beschäftigten aus dem Personalbereich oder Führungskräften zurückzugreifen.

Der Gesetzgeber sieht für die tarifgebundenen und tarifanwendenden Unternehmen bei der Vergleichsgruppenbildung Erleichterungen vor. Vergleichsgruppen sind nach Entgeltgruppen zu bilden. Damit muss man vergleichbare Tätigkeiten nicht mühevoll ermitteln und begründen. Die Privilegierung der tarifgebundenen und tarifanwendenden Unternehmen zur Vergleichsgruppenbildung hat aber auch einen Nachteil (vgl. auch hierzu den Leitfaden der BDA, S. 25). In der Praxis führt die Vergleichsgruppenbildung nach Entgeltgruppen dazu, dass sich sehr unterschiedliche Funktionen in einer Vergleichsgruppe wiederfinden – bspw. Techniker, Informatiker, Controller, HR-Business Partner. In vielen tarifgebundenen und tarifanwendenden Unternehmen finden sich etwa auch Vertriebsfunktionen und Nichtvertriebsfunktionen in gleichen Entgeltgruppen wieder. Vertriebsmitarbeitern stellt das Unternehmen aber häufig ein Geschäftsfahrzeug zur Verfügung. Das Kfz muss bei der Vergleichsentgeltberechnung als sog. mittelbarer Entgeltbestandteil kapitalisiert werden. Im Ergebnis führt das dazu, dass das Vergleichsentgelt der Beschäftigten im Vertrieb höher liegt als das der Beschäftigten in Nichtvertriebsfunktionen. Reduziert man das Antwortschreiben auf die vom Gesetzgeber geforderte Angabe des Median der Vergleichsgruppe, werden solche objektiven Kriterien zur Vergleichsentgeltberechnung nicht transparent.

Vor diesem Hintergrund sollte man die Antwortschreiben ausführlicher gestalten, Erklärungen liefern und Fragen auf die Antworten der Beschäftigten finden – das bedeutet natürlich einen entsprechenden administrativen Aufwand.

Es steht den tarifgebundenen und tarifanwendenden Unternehmen auch frei, innerhalb der Entgeltgruppen kleinere Vergleichsgruppen zu bilden, wenn der Vergleich dann sinnvoller ist. Das Rechtsrisiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung trägt allerdings der Arbeitgeber. Daher ist es aus Praxissicht ratsam, die Privilegierung in Anspruch zu nehmen und auf die Bildung kleinerer Vergleichsgruppen zu verzichten. Im Einzelfall ist eine andere Bewertung möglich.

6 Fazit

Es bleibt abzuwarten, was die seitens der Bundesregierung geplante Evaluation zur Wirksamkeit des Gesetzes im nächsten Jahr bringen wird. Es wäre wünschenswert, wenn die Erfahrungen aus der Praxis Berücksichtigung fänden. Aus unserer Sicht könnte man bereits mit kleinen Anpassungen große Wirkungen erzielen – etwa mit dem klaren Fokus auf Transparenz der Entgeltstrukturen und der Reduktion von administrativem Aufwand.

Katrin Kordes

Katrin Kordes

Barbara Schwertfeger

Barbara Schwertfeger
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· Artikel im Heft ·

Entgelttransparenzgesetz im Praxistest
Seite 480 bis 482
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