Eine Fachangestellte für Bürokommunikation war seit dem 1.9.2021 als Assistenz und Vorzimmerkraft des Amtsleiters im Amt für Mobilität beschäftigt. Sie ist mit 50 % schwerbehindert. Seit 1.12.2021 war die Angestellte durchgängig arbeitsunfähig.
Am 8.2.2022, also noch innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit, beantragte die Behörde beim Personalrat die Zustimmung zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung. Sie teilte dem Personalrat die Sozialdaten der Mitarbeiterin und die in Aussicht genommene Kündigungsfrist mit und verwies zur Begründung der Kündigung auf Mängel in der fachlichen Eignung. Der Schwerbehindertenvertretung übersandte die Beklagte das Schreiben an den Personalrat ebenfalls am 8.2.2022 mit folgenden Worten: „Als Anlage erhalten Sie eine Kopie des Schreibens an den Personalrat.“ Nach Beschlussfassung des Personalrats über die Kündigung sprach die Behörde die Kündigung aus.
Die dagegen gerichtete Klage war erfolgreich (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 7.3.2023 – 5 Sa 127/22, rk.). Es fehlte die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung. Der Arbeitgeber hat nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Die ohne eine solche Beteiligung ausgesprochene Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ist unwirksam. Neben dem Kündigungssachverhalt sind der Grad der Behinderung und ggf. die Gleichstellung sowie grundsätzlich die weiteren Sozialdaten des Mitarbeiters mitzuteilen. Hinsichtlich der Stellungnahmefristen enthält das SGB IX seit Einführung der Unwirksamkeitsfolge bei Nichtbeteiligung der Schwerbehindertenvertretung eine planwidrige Regelungslücke. Sie ist durch eine analoge Anwendung des § 102 Abs. 2 BetrVG zu schließen.
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Dies bedeutet, dass die Schwerbehindertenvertretung etwaige Bedenken gegen eine beabsichtigte ordentliche Kündigung spätestens innerhalb einer Woche und solche gegen eine beabsichtigte außerordentliche Kündigung unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen mitzuteilen hat. Einer ausdrücklichen Fristsetzung durch den Arbeitgeber bedarf es nicht (BAG, Urt. v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18).
Im Streitfall hatte der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung lediglich unterrichtet, jedoch nicht angehört. Anhörung bedeutet, dem Angehörten Gelegenheit zur Äußerung zu geben, somit dem anderen zuzuhören und dessen Erklärung Aufmerksamkeit zu schenken. Das Schreiben des Amtes enthielt jedoch lediglich eine Information zu dem laufenden Beteiligungsverfahren beim Personalrat. Der Schwerbehindertenvertreter konnte daraus nicht entnehmen, dass er die Möglichkeit erhält, sich zu einer beabsichtigten Kündigung zu äußern.
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