Eine Studie von Prof. Sascha Alavi von der Ruhr-Universität-Bochum (RUB) trägt den Titel „Variable Vergütungssysteme können krank machen“. Die Studie bezieht sich auf 800 Vertriebsmitarbeiter eines Unternehmens, deren fixes Grundentgelt bei 20 % ihres Verdienstes lag und das variable Entgelt entsprechend bei 80 %. Der neue Geschäftsführer stellte das Vergütungssystem – bei grundsätzlich gleichen Jahreseinkommen – auf 80 % fixes Grundentgelt und 20 % Leistungsentgelt um. Dabei beobachteten die Forscher, dass der Krankenstand der Mitarbeiter zurückging.
Die zugespitzte Schlagzeile der Wirtschaftswoche über die Studie war dann: „Wenn das Gehalt krank macht“. Diese Erkenntnis ist auf den ersten Blick eine Schlagzeile wert, weil sie für manche Menschen revolutionär klingt. Die Erkenntnis ist aber trivial, denn sie sagt, was wir als Volksweisheit kennen: „Mehr hilft nicht automatisch mehr“. Wenn wir die Salbe dicker auf eine Wunde auftragen, wirkt sie nicht besser.
Leistungsniveau
Der scheinbar neuen Erkenntnis wird bereits seit Jahrzehnten – um nicht zu sagen einem guten Jahrhundert – von REFA Rechnung getragen. Ausgehend von einer Normalleistung wird eine Leistungserwartung an die Menschen, insbesondere in produzierenden Unternehmen, formuliert. Auch in Dienstleistungsunternehmen können betriebliche Planzeitkataloge auf der Basis von Erfahrungswerten und Algorithmen zu diesem Zweck erarbeitet werden. Wichtig ist es dabei, eine definierte Leistungserwartung basierend auf einer Normal- oder Normleistung zu formulieren und darauf eine angemessene Personalbemessung und faire variable Vergütung aufzubauen. Damit verbunden wird dann eine nachvollziehbare, flexible und motivierende Personaleinsatzplanung, was zu zufriedenen Kunden und dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens führt.
Erfolgreich mit gerecht gestalteter und fair umgesetzter variabler Vergütung
Dem Gedanken der angemessenen Leistungserwartung, abgestimmt auf die Ressourcen der Menschen, trägt auch die SMART-Regel Rechnung, die insbesondere bei Zielvereinbarungen angewandt wird. Die vereinbarten Ziele sollen
- spezifisch
- messbar
- attraktiv
- realistisch und
- terminiert
sein. Die in SMART enthaltene Leistungsphilosophie schlägt sich seit Jahrzehnten auch in den Leistungsentgeltsystemen (individuelle Prämien und Teamprämien) in produzierenden Unternehmen nieder. Auch in den Dienstleistungsunternehmen wie z. B. der Altenpflege ist ein Leistungsentgelt – gerecht gestaltet und fair umgesetzt – ein attraktiver Leistungsanreiz.
Gefahr der Überlastung
Wird die Leistung der Mitarbeiter bzw. Teams über den „grünen Leistungsbereich“ – der von 100 % Leistungsgrad bis ca. 125 % Leistungsgrad auf Basis der REFA-Normalleistung geht – abgefordert, kann es im gelben Bereich (>125 %) und insbesondere im roten Bereichen (>130 %) zu typischen Schäden durch Überlastung kommen. Bei Maschinen sind das Werkzeugbruch, Maschinenstillstände und überproportionaler Verschleiß. Bei Menschen sprechen wir von physischer Erschöpfung, Krankheit und Burn-out.
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Auf den Kontext kommt es an
Entscheidend bei variabler Vergütung und Leistungsentgelt ist nicht allein die prozentuale Höhe der variablen Vergütung in von Hundert des Grundentgelts, sondern auch die absolute Höhe des Grundentgelts. Das in der betrieblichen Praxis Entscheidende ist:
- Die Höhe des absoluten Grundentgelts: Können die Mitarbeiter davon angemessen leben und die variable Vergütung ist eine echte Belohnung – sozusagen „die Sahne auf der Torte“?
- Ist das variable Entgelt notwendig, damit die Mitarbeiter sich eine angemessene Wohnung leisten und ihre Familie ernähren können?
- Was passiert, wenn die Mitarbeiter keine oder nur eine geringe erhöhte Leistung erbringen? Keine bzw. weniger variable Vergütung? Und das bleibt „geheim“? Schlechter Rang auf der (öffentlichen) betrieblichen „Hitliste“ der Empfänger der variablen Vergütung? Kündigung der „Minderleister“ – im Vergleich zu den Kollegen –, die z. B. nur 110 % Leistungsgrad erreichen?
Variable Vergütungssysteme gemeinsam erarbeiten, gerecht gestalten und fair umsetzen
Variable Vergütungssysteme sollen, um einen wirkungsvollen Leistungsanreiz bieten zu können, gemeinsam von der Unternehmensleitung und den Betroffenen bzw. ihren Vertretern erarbeitet werden, dabei sind die folgenden Aspekte zu berücksichtigen:
- Unternehmenskultur
- Arbeitsaufgaben und deren Ziele
- Normalleistung und Leistungsspanne
- Personalbemessung und Ressourcen
- Höhe des Grundentgelts und der variablen Vergütung
- Verhältnis von Leistung und Entgelt sowie
- Personalführung und Führungsstil
Wenn das gerecht gestaltete Vergütungssystem mit variabler Vergütung steht, muss es fair – von Führungskräften und Mitarbeitern – umgesetzt werden. Das Unternehmen hat dann sein „Good Pay“ etabliert.
Fazit
Eine attraktive variable Vergütung, ein attraktives Leistungsentgelt, macht nicht per se krank. In der Regel ist es weniger die Höhe der Belohnung an sich, die krankmacht, sondern der Kontext, in dem sie gezahlt wird. Hier ist es angebracht, mit dem systemischen Ansatz zu arbeiten, denn die Höhe der variablen Vergütung entkoppelt von der – von den Menschen beeinflussbaren – Leistung zu betrachten, greift zu kurz. Die Fokussierung bei der Studie „Variable Vergütungssysteme können krankmachen“ auf die Höhe der variablen Vergütung als Ursache von Krankheiten, vernachlässigt den Kontext weitgehend. Erfahrungsgemäß ist dieser Kontext im Hinblick auf die gesundheitlichen Auswirkungen relevanter als die Höhe der variablen Vergütung.
Eckhard Eyer

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