Mindestlohn für entsandte ausländische Betreuungskräfte in Privathaushalte
Nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeitsstunden.
Dazu gehört auch Bereitschaftsdienst. Ein solcher kann darin bestehen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten (BAG, Urt. v. 24.6.2021 – 5 AZR 505/20).
Abgrenzung
Bereitschaftsdienst ist abzugrenzen von Arbeitsbereitschaft einerseits und Rufbereitschaft andererseits.
- Arbeitsbereitschaft liegt vor, wenn die Art der vom Arbeitnehmer verrichteten Arbeit einen Wechsel zwischen voller und geringerer Beanspruchung beinhaltet. Sie ist wache Achtsamkeit im Zustand der Entspannung.
- Bereitschaftsdienst liegt vor, wenn der Arbeitnehmer sich an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebs aufzuhalten hat, um – soweit es notwendig ist – seine Arbeit sofort oder zeitnah aufnehmen zu können, ohne sich im Zustand wacher Achtsamkeit zu befinden.
- Rufbereitschaft ist die Verpflichtung des Arbeitnehmers, sich an einem selbst bestimmten, aber dem Arbeitgeber anzugebenden Ort auf Abruf zur Arbeit bereitzuhalten (vgl. hierzu sämtlich Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 156).
Bereitschaftsdienst und Arbeitsbereitschaft sind danach zur Arbeitszeit i. S. v. § 2 Abs. 1 ArbZG zu rechnen und entsprechend zu vergüten. Bei der Rufbereitschaft ist nur die Zeit, die für die tatsächliche Erbringung von Leistungen aufgewandt wird, als Arbeitszeit anzusehen und nur insofern zu vergüten.
Mindestlohn
Für alle drei Formen (Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft) gelten die Entlohnungsgrundsätze des MiLoG. Danach hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber (§ 1 Abs. 1 MiLoG).
Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland sind verpflichtet, ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns zu zahlen (§ 20 MiLoG).
Das BAG hat zutreffend entschieden, dass die Verpflichtung zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns nach § 20 i. V. m. § 1 MiLoG auch ausländische Arbeitgeber trifft, wenn sie Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden (BAG, Urt. v. 24.6.2021 – 5 AZR 505/20). Dies ergibt sich daraus, dass es sich bei den Vorschriften des MiLoG um Eingriffsnormen i. S. v. Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) handelt.
Gemäß Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO ist eine Eingriffsnorm eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen. Beim MiLoG handelt es sich um eine solche Eingriffsnorm i. S. v. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, die unabhängig davon gilt, ob ansonsten auf das Arbeitsverhältnis deutsches oder ausländisches Recht Anwendung findet (BAG, Urt. v. 24.6.2021 – 5 AZR 505/20).
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Da es sich beim Bereitschaftsdienst um Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitrechts handelt, ist somit der gesamte Bereitschaftsdienst mit dem gesetzlichen Mindestlohn nach dem MiLoG zu vergüten.
Betreuungskräfte
Dies gilt auch für in Privathaushalteentsandte ausländische Betreuungskräfte in Deutschland (BAG, Urt. v. 24.6.2021 – 5 AZR 505/20). Da der Bereitschaftsdienst darin bestehen kann, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten und der Bereitschaftsdienst wie normale Arbeitszeit nach dem MiLoG zu vergüten ist, ergibt sich zwingend eine Kostenexplosion für inländische und ausländische Betreuungskräfte, die hierzulande in Privathaushalten eingesetzt werden.
Die VdK-Präsidentin Verena Bentele bezeichnet dies als „Bankrotterklärung für das ambulante Pflegesystem“.
Diese Einschätzung der VdK-Präsidentin ist zwar nachvollziehbar, erklärt jedoch nicht, wie das oben dargestellte zwingende rechtliche System eine solche „Bankrotterklärung“ verhindern kann.
Dr. jur. Günter Schmitt-Rolfes

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