Unbilligkeit einer Weisung zur Arbeitszeiterfassung

1105
Bild

Ein angestellter Taxifahrer verklagte seinen Arbeitgeber auf Zahlung von Mindestlohn für die gesamte Zeit, die zwischen Einschalten und Ausschalten des Taxameters lag (sog. Verfügungszeit). Die echte Arbeitszeit (Beförderung von Taxigästen) betrug etwa 60 % der Verfügungszeit. Das Taxameter ist mit einem Zeiterfassungsmodul versehen. Bei einer Standzeit von drei Minuten erfolgen ein akustisches und ein optisches Signal. Danach sind die Taxifahrer angewiesen, binnen zehn Sekunden eine Taste zu drücken, damit die Standzeit als Arbeitszeit aufgezeichnet wird. Andernfalls wird die Standzeit als Pause erfasst. Der Kläger hatte häufig die Taste nicht betätigt und so „Pausenzeiten“ generiert, obwohl er am Taxistand einsatzbereit war. Dennoch hatte er die Arbeitszeitnachweise, in denen die Pausenzeiten erfasst waren, unterzeichnet und deren Richtigkeit bestätigt. Diese Pausenzeiten bezahlte das Taxiunternehmen nicht. Vergütet erhielt er nur die Zeiten der Personenbeförderung. Im Prozess vor dem LAG Berlin-Brandenburg machte er geltend, es handle sich bei den Pausenzeiten um Zeiten der Arbeitsbereitschaft, die mit dem Mindestlohn zu vergüten sind. Während der Standzeit habe er immer mit Gästen rechnen müssen und sei verpflichtet gewesen, Gäste aufzunehmen. Nur deshalb, weil er den Signalknopf nicht regelmäßig betätigt habe, seien die Zeiten als Pause erfasst worden. Die Anweisung zum Bedienen der „Totmanntaste“ sei rechtswidrig.

Darin gab ihm das LAG Berlin-Brandenburg Recht (Urt. v. 30.8.2018 – 26 Sa 1151/17). Das Unternehmen muss die Vergütung in Höhe des Mindestlohns für die gesamte „Verfügungszeit“ bezahlen. Vergütungspflichtige Arbeit ist nicht nur die Vollarbeit, sondern auch Arbeitsbereitschaft bzw. der Bereitschaftsdienst, wenn der Arbeitnehmer während solcher Zeiten nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann, sondern sich an einem bestimmten Ort aufhalten muss, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen (vgl. BAG, Urt. v. 11.10.2017 – 5 AZR 591/16). Der Taxifahrer hatte insoweit dargelegt, dass er während der gesamten Zeit zumindest arbeitsbereit war. Diesen Vortrag konnte der Arbeitgeber nicht substanziiert bestreiten. Die Arbeitszeitaufzeichnungen ließen keinen Schluss über den Umfang der tatsächlichen Arbeitszeiten zu. Sie sind das Ergebnis einer Auswertung der technischen Aufzeichnungen.

Das angewandte Verfahren zur Kontrolle der Arbeitszeit verletzte das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Die Anweisung, alle drei Minuten die Anwesenheit im Fahrzeug zu bestätigen, ist unverhältnismäßig. Dazu hätte der Kläger sich praktisch ständig im Fahrzeug aufhalten müssen. Eine derart umfassende Kontrolle und damit verbundene Einschränkung der Bewegungsfreiheit ist nicht durch legitime Interessen gerechtfertigt. Auch wenn die Kontrolle der Einhaltung der Arbeitszeiten bei Taxifahrern und Außendienstmitarbeitern kompliziert ist, gibt es dafür andere Möglichkeiten, z. B. das Führen eines Fahrtenbuchs oder tragbare Geräte, die den Fahrer nicht zwingen, in seinem Fahrzeug zu sitzen.

Kein Papier mehr? Dann ist AuA-Digital genau das Richtige für Sie. Einfach 60 Tage kostenlos testen. Nutzen Sie die papierlose Abrufbarkeit von tausenden Fachinformationen und Entscheidungs-Kommentaren.

Unabhängig davon war die mit der Bedienung des Kontrollgeräts verbundene Datenerfassung unverhältnismäßig und nicht durch legitime Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt. Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG a. F. (heute § 26 BDSG) dürfen personenbezogene Daten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses u.a. dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für dessen Durchführung erforderlich war. Zur Durchführung gehört die Kontrolle, ob der Arbeitnehmer seinen Pflichten nachkommt. Die Kontrolle muss aber verhältnismäßig sein und darf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht verletzen. Zwar handelt es sich nicht um eine Totalkontrolle, wie bei einer Videoüberwachung, dennoch führt die Pflicht zur Betätigung der Taste im Drei-Minuten-Rhythmus zu einer Dauerüberwachung, die unverhältnismäßig und unangemessen ist.

Es wurde Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Sie ist unter dem Az. 5 AZN 692/18 anhängig.

Dr. Claudia Rid

Dr. Claudia Rid
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, CMS Hasche Sigle, München
AttachmentSize
Beitrag als PDF herunterladen619.85 KB

· Artikel im Heft ·

Unbilligkeit einer Weisung zur Arbeitszeiterfassung
Seite 306
Frei
Bild Teaser
Body Teil 1

Nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für

Frei
Bild Teaser
Body Teil 1

Vergütungsfragen nicht gesetzlich geregelt

Das ArbZG ist ein öffentlich-rechtliches Arbeitsschutzrecht. Es beruht auf einer

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Problempunkt

Der Kläger war im Einzelhandelsunternehmen der Beklagten als Auslieferungsfahrer beschäftigt. Die Arbeitszeit wurde durch

Frei
Bild Teaser
Body Teil 1

Regelungen zur täglichen Höchstarbeitszeit

Zunächst soll an dieser Stelle der Wortlaut des § 3 ArbZG zum besseren Verständnis noch

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Nachweisgesetz – Was lange währt, wird leider Papierflut

Das NachwG beruht auf der EU-Richtlinie 2019/1152 über transparente und

Premium
Bild Teaser
Body Teil 1

Grundsätzliches Verbot

Ein schnelles Telefonat mit dem Lieblingsitaliener, um einen Tisch für den Abend zu reservieren, die E-Mail an die