In einem Jobcenter galt eine Gleitzeitvereinbarung mit einer Rahmenarbeitszeit zwischen 6:00 und 19:00 Uhr. Die Mitarbeiter können die Arbeitszeit mittels einer Chipkarte an einem Terminal erfassen oder online am PC. Dafür sind die Personalnummer und ein spezielles Kennwort erforderlich. Ein Assistent im Bearbeitungsservice arbeitete grundsätzlich im Dienstgebäude des Jobcenters, für mobiles Arbeiten benötigte er die Zustimmung seiner Führungskraft. Seine Lebensgefährtin erbringt ihre Arbeitsleistung im Jobcenter zum überwiegenden Teil rechnergestützt im Homeoffice. Aufgrund eines hohen Negativsaldos des Arbeitszeitkontos führte der Geschäftsführer des Jobcenters mit dem Assistenten ein Mitarbeitergespräch und vereinbarte den Ausgleich des Negativsaldos binnen eines bestimmten Zeitraums. Der Teamleiterin des Assistenten war im Anschluss aufgefallen, dass ihr Mitarbeiter häufig später als sie zur Arbeit erschien und den Arbeitsplatz früher als sie verließ. Nach ihren Notizen kam er am 25.10.2021 nach 8:09 Uhr und ging um 15:25 Uhr, am 26.10.2021 kam er nach 7:25 Uhr und verabschiedete sich um 15:25 Uhr und am 27.10.2021 kam er nach 8:00 Uhr und verabschiedete sich um 15:06 Uhr. Am 25.10.2021 war die Teamleiterin in der Zeit zwischen 7:35 Uhr und 8:09 Uhr mehrmals zu dem Büro des Klägers gegangen, das sie jeweils verschlossen vorfand. Im Zeiterfassungssystem hatte der Assistent jedoch online gebucht, dass er bereits um 6:24 Uhr gekommen war. Es fiel außerdem auf, dass der Angestellte seit Februar 2021 regelmäßig die erste oder die ersten beiden Zeitbuchungen online vorgenommen hatte. Die Geschäftsführung hörte den Mitarbeiter zu den Abweichungen zwischen den gebuchten und den von der Teamleiterin registrierten Arbeitszeiten an, ebenso zu dem Verdacht, dass er sich von zu Hause aus über den Zugang seiner Lebensgefährtin in das System eingebucht habe. Der Assistent berief sich auf ein vorübergehendes Alkoholproblem, weshalb er der Teamleitung morgens aus dem Weg gegangen sei. Nach Anhörung des Personalrats sprach das Jobcenter eine ordentliche Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung wegen der fehlerhaften Erfassung der Arbeitszeit aus.
Die dagegen erhobene Klage hatte in beiden Instanzen keinen Erfolg (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 28.3.2023 – 5 Sa 128/22, rk.). Das Gericht hielt die Kündigung wegen des Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung für gerechtfertigt. Der Verdacht einer Pflichtverletzung stellt gegenüber dem verhaltensbezogenen Vorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Dieser kann zum Verlust der vertragsnotwendigen Vertrauenswürdigkeit führen und damit die Verdachtskündigung als personenbedingte Kündigung rechtfertigen. Sie ist allerdings nur dann gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Dies gilt insbesondere für die Dringlichkeit des Verdachts. Außerdem muss der Arbeitgeber die zumutbaren Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts ergreifen und dem Beschuldigten Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Dies hatte das Jobcenter getan. Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Der Verdacht, dass der Kläger an mehreren Tagen frühmorgens die Arbeitszeiten von zu Hause aus am Laptop der Lebensgefährtin gebucht hatte, war auch dringend, da die Teamleiterin ihn in der von ihm eingetragenen Zeit im Büro nicht antreffen konnte und dieses verschlossen war. Auch die rund 16-jährige Beschäftigungszeit und Unterhaltspflichten gegenüber drei Kindern retteten den Kläger nicht.
Schließlich hatte er sich unberechtigte Lohnzahlungen erschlichen und dadurch eine Vermögensschädigung herbeigeführt.
Dr. Claudia Rid
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